Einst war die Grenze zwischen Niederösterreich und der damaligen Tschechoslowakei tot.

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St. Pölten / Wien – Es war 1975, und Niederösterreich war mit einer "toten Grenze" zur Tschechoslowakei konfrontiert. Das Land gründete die Niederösterreichische Grenzlandförderungsgesellschaft (NÖG), um die ohnehin wirtschaftlich schwache Region zu stärken.

2016 ist die Grenze praktisch weg. Die NÖG gibt es aber immer noch, inklusive ihres Stammkapitals von 14,5 Millionen Euro. Die eine Hälfte davon hat Niederösterreich beigesteuert, die andere der Bund. Das soll später noch Probleme bereiten. Eines von vielen sehr österreichischen Problemen der Gesellschaft.

Vernichtende Kritik des Rechnungshofs

Was die NÖG außerdem heute noch hat: zwei Geschäftsführer, aber 4,5 Vollzeitjobs für die Verwaltung der Förderung. Der Rechnungshof beurteilte die Bestellung der beiden Manager angesichts des geringen Fördervolumens und der wenigen Mitarbeiter als "nicht gerechtfertigt". Die beiden Herren – Gerhard Schmid und Ernst Eder – sind hauptberuflich Prokuristen der niederösterreichischen Förderagentur Ecoplus, sie leiten die NÖG nebenbei.

Überhaupt zerpflückte der Rechnungshof die Gesellschaft in einer Prüfung 2015: Da sind die geänderten Gegebenheiten in der Region, auf die die NÖG laut Rechnungshof nicht reagiert habe – Stichwort Schengen. Da ist die gemeinsame Eigentümerschaft von Bund und Land, die das Infrastrukturministerium (BMVIT) und das Land Niederösterreich zur Koordination mit anderen Förderstellen auf Bundes- und Landesebene hätten nutzen können, das aber nicht getan hatten.

Ein Grenzland bis nach Melk

Angesichts des niedrigen Zinsniveaus zweifelt der Rechnungshof auch an der Effektivität des Hauptförderungsinstruments der NÖG: nämlich der Vergabe günstiger Kredite an Unternehmen. Tatsächlich sei es aber schwierig, die Wirksamkeit der Maßnahmen zu überprüfen, denn die NÖG verfüge über "kein qualifiziertes System zur Beurteilung ihrer Förderungswirkungen".

Und dann ist da noch die sehr, sehr weite Auslegung des Wortes "Grenze": Das Grenzland reicht bis nach Melk, beinahe schon in der Mitte Niederösterreichs gelegen – darüber amüsierte man sich jüngst in der Puls4-Steuergeldshow "Bist du deppert". Eine Studie des Österreichischen Instituts für Raumplanung (ÖIR) kritisierte schon 2008, dass das Fördergebiet "keinen nachvollziehbaren Abgrenzungen" folgt. Die geförderten Gemeinden, so die Autoren der Studie, würden außerdem großteils von anderen Förderprogrammen erfasst.

Niederösterreich wünscht sich ein Geschenk

Für den Rechnungshof war die Sache also klar: Es wäre am besten, die NÖG aufzulösen. Ihre Aufgaben könnten auch von bestehenden Einrichtungen des Landes Niederösterreich erledigt werden. "Die Gesellschaft in der derzeitigen Form hat ihre Zeit überlebt", sagte der damalige Rechnungshofpräsident Josef Moser bei der Debatte im parlamentarischen Ausschuss. Das war Ende September 2015. Passiert ist seitdem nichts in diese Richtung.

Und das, obwohl beide Eigentümer grundsätzlich Interesse an einer Reform zeigen – wenn auch in unterschiedlicher Deutlichkeit. Das Land Niederösterreich etwa sei bereit, "den Empfehlungen des Rechnungshofs nachzukommen und die Hauptaufgaben der NÖG durch bestehende Einrichtungen des Landes ohne zusätzliche Kosten zu übernehmen", wie es aus dem Büro der zuständigen Landesrätin Petra Bohuslav (ÖVP) heißt.

Ministerium will effizienter fördern

Der Haken: Niederösterreich will das vom Bund eingezahlte Kapital zur Gänze übernehmen und für die Förderungen weiterverwenden – wogegen sich das Ministerium 2015 zumindest unter Alois Stöger (SPÖ) sträubte. "Nach dem Wechsel zum aktuellen Minister Leichtfried (SPÖ) laufen jetzt Gespräche über unseren Vorschlag", so das Büro der Landesrätin.

Ein Sprecher von Infrastrukturminister Jörg Leichtfried sagt zum STANDARD, dass es bis in den Herbst "eine Überprüfung der gesamten Förderstruktur im Haus" gebe – mit dem Ziel, "effizienter und weniger kleinteilig zu werden". Das beziehe sich aber ausdrücklich nicht auf Einzelförderungen. Bezüglich der NÖG verweist man auf den laufenden Prozess.

Beratungsauftrag über 350.000 Euro

Und die NÖG selbst? Erst vor einigen Wochen hat die Gesellschaft einen 350.000 Euro schweren Auftrag für Unternehmensberatung für die nächsten vier Jahre ausgeschrieben. Die beschriebenen Leistungen – Beratungen, Informationsveranstaltungen, Unterstützung bei Projekten – werden derzeit von einer Beratungsfirma abgewickelt, deren Vertrag demnächst ausläuft. Das klingt nicht nach einer Organisation, die schon in Auflösung begriffen ist.

Die beiden Geschäftsführer teilen dem STANDARD schriftlich mit, dass sich die "wirtschaftliche Situation für das niederösterreichische Grenzland nicht im erhofften Ausmaß" verbessert habe. Für die großen Fragen seien die Eigentümer zuständig: Auf das Fördergebiet müssten sich etwa Bund und Land einigen, bis dahin bleibt es unverändert – obwohl die ÖIR-Studie die Grenzen des Grenzlands schon 2008 de facto als willkürlich beurteilt hat.

Die Handlungsfähigkeit des österreichischen Föderalismus

Der ausgeschriebene Beratungsvertrag müsse außerdem jedes Jahr aufs neue vom NÖG-Aufsichtsrat genehmigt werden, im Falle einer Auflösung kann man ihn also auch vorzeitig beenden. Ob das notwendig sein wird, hängt wohl davon ab, ob sich Bund und Land demnächst einigen. (Sebastian Fellner, 2.8.2016)