Designer Philippe Starck hat vier Jahre an der Entwicklung von Flipflops gearbeitet.

Foto: Ipanema with Starck

STANDARD: Sie gestalteten so ziemlich alles von der Zahnbürste bis zur Mega-Yacht. Woher stammt Ihre Kreativität?

Philippe Starck: Mein Vater André Starck war ein Flugzeugingenieur. Die Starck AS-57, ein einmotoriger Tiefdecker, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut. Mein Vater war ein genialer Erfinder. Noch heute verwenden wir viele seiner Produkte, die er allerdings nie hat patentieren lassen. Lippenstifthülsen etwa oder die Antirutschbeschichtung.

STANDARD: Sie haben den Erfindergeist also im Blut?

Starck: Sagen wir es so: Meine Identität ist von Erfindungen und Technologie geprägt.

STANDARD: Welche Rolle spielte die Schule? Waren Sie ein aufmerksamer Schüler?

Starck: Ich schwänzte oft.

STANDARD: Warum ?

Starck: Die Schule war für mich unerträglich und voller Zwänge. Ich verbrachte die meiste Zeit meiner Kindheit in einem Wald nahe Paris und lebte dort autistisch, wie ein wildes Tier. Auch zu Hause verhielt ich mich sonderbar. Ich schlief immer auf dem Boden, nie in meinem Bett. Mit 16 wurde mir klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Die Kreativität meines Vaters erschien mir dann als ein Ideal. Ich empfand sie als ehrliche Arbeit, die aus einem selbst kommt, das Gegenteil von Sklaventum.

STANDARD: Lebensretter Kreativität?

Starck: In jungen Jahren war ich streng genommen selbstmordgefährdet. Wahrscheinlich arbeite ich deshalb noch heute wie ein Verrückter. Ich habe gar keine andere Wahl, als mich auf die vererbte Kreativität zu konzentrieren. Aus diesem Grund konnte ich mich wohl nie einem einzigen Gebiet verschreiben. Ich gestalte Flugzeuge, Uhren, Museen, Hotels ebenso wie Gebrauchsgegenstände. Mich treibt das Projekt an, weniger das Produkt. Meine Liebe zur Philosophie und Mythologie, Architektur, Sexualität, Astrophysik und Politik kann ich in der Formgabe vereinen. Design ist mein Vehikel, um mich auszudrücken.

STANDARD: Und wie steht es um die Inspiration durch Natur?

Starck: Die Natur dient mir als Lebensmittelpunkt und Inspirationsquelle. Auf der kleinen französischen Insel Île aux Oiseaux (dt.: Vogelinsel) lebe ich mit meiner Frau und unserem Kind auf meiner Austernfarm in einer einfachen Holzhütte ohne Strom und unter völligem Verzicht auf Komfort.

STANDARD: Aber Sie steigen doch in edlen Design- oder Boutiquehotels ab, wenn Sie auf Geschäftsreise sind?

Starck: Durch die vielen Termine auf der ganzen Welt schlafen wir meistens in unserem Privatjet. Wir sind gerne alleine und meiden Übernachtungen in Hotels. Ich lege keinen Wert auf luxuriöse Unterkünfte. Was ich für mich und meine Familie suche, sind versteckte Plätze. Anonymität tut mir und meiner Arbeit gut. Ich brauche nichts weiter als Ruhe, einen Bleistift und einen Block.

STANDARD: Keinen Computer?

Starck: Ich besitze weder einen Laptop noch ein Mobiltelefon. Alles, was mich mit der globalen Welt verbindet, befindet sich ausschließlich im Koffer meiner Frau.

STANDARD: Von Ipanema gibt es jetzt auch Flipflops, die Sie gestaltet haben. Welchen Bezug haben Sie zu Schuhen?

Starck: Meine Großmutter sagte: "Armut darf dich nie daran hindern, saubere Schuhe zu tragen." Dieser Satz begleitet mich. Schuhe sind ein Symbol. Auf gemeinsamen Reisen mit meiner Frau bemerkte ich, dass vor allem Menschen entlang des Äquators fast ausschließlich Sandalen tragen. Nach einer Umfrage erfuhr ich, dass sogar zwei Drittel der Menschheit Sandalen tragen. Die ganze Welt trägt Flipflops! Da wird es demokratisch. Verstehen Sie? Das ist mein kreatives Territorium. Die Frage, wie man Schuhe kostengünstig mit Hightech verbinden kann, drängte sich mir förmlich auf.

STANDARD: Dann haben Sie die Marke Ipanema in Brasilien kontaktiert und losgelegt?

Starck: So war es. Ipanema bzw. der Mutterkonzern Grendene produziert 280 Millionen Paar pro Jahr. Ich wollte keinen Schnickschnack kreieren, sondern die Sandale upliften, reduzierte Flipflops entwerfen, die sich jede Frau leisten kann. Von der Idee bis zur finalen Umsetzung habe ich vier Jahre an diesem Projekt gearbeitet. Entwirfst du einen normalen Schuh, dauert das in der Regel nicht länger als vier Monate.

STANDARD: Eine smarte Sandale kann man also nicht mal eben so entwickeln?

Starck: Eleganz entsteht nie zufällig.

STANDARD: Sondern?

Starck: Durch strikte Reduktion. Auch wenn meine Arbeit mitunter barock aussehen mag, arbeite ich streng nach dem mathematischen Prinzip der Division. Erst wenn sich das Produkt nicht mehr weiter reduzieren lässt, erzeugt es aus seiner Struktur heraus Eleganz. Je simpler ein Produkt im Ergebnis ist, umso langwieriger war der Prozess.

STANDARD: Wie stehen Sie zur Mode?

Starck: Ich glaube weniger denn je an die Mode. Fashion wird zwar nie sterben, aber das Tempo, mit dem Mode kommt und geht, wird immer höher. Man kann dem nicht mehr folgen. Ich glaube nur noch an einen Trend. An die Freiheit, du selbst zu sein und stolz zu sein auf den Unterschied.

STANDARD: Auf der anderen Seite erleben wir ein Schönheitsdiktat. Wie denken Sie über Schönheitsoperationen?

Starck: Wir haben die Verpflichtung, jeden Lebensabschnitt möglichst ehrlich zu leben. Versteckst oder kaschierst du etwas, bist du nicht mehr mit dir verbunden. Speziell Frauen neigen zu unnötigen Operationen. Meine Mutter war eine bildhübsche Frau. Auch mit 65 Jahren war sie noch wunderschön. Mit dem ersten Facelifting im Alter von 67 war ihr Anmut verschwunden. Unser Körper und Look verändert sich im Alter. Versteckst du dein Gesicht hinter einer Maske, verlierst du deine Persönlichkeit. Es ist grausam, wenn vor allem Frauen die Opfer einer männerdominierten Gesellschaft werden. Keine dieser Frauen, die von einer Schönheits-OP zur nächsten gehen, tut das freiwillig, sondern um für Männer attraktiv zu bleiben. Ich verurteile das zutiefst.

STANDARD: Eine letzte Frage: Ist es richtig, dass Sie nie Unterhosen tragen?

Starck: Ich werde erst Pampers anziehen, wenn ich alt bin und mich nicht mehr unter Kontrolle habe. Auf das Tragen von Unterhosen verzichte ich aus philosophischen Gründen.

STANDARD: Würden Sie das bitte genauer erklären?

Starck: Ich versuche, ein purer Geist zu sein. In der Entwicklung von der Amöbe über den Fisch, Frosch usw. bis hin zum Affen sind die Lebewesen immer schlauer geworden. Wir Menschen als die Supermonkeys kreieren Intelligenz, die weitere Intelligenzen erzeugt. Die einzig wahre Schönheit ist unser Gehirn. Unsere Aufgabe ist es, uns vom Tier zu unterscheiden. Tiere pieseln in ihren Pelz. Ich nutze die Toilette.

STANDARD: Wollen Sie damit sagen, dass die Unterhose für nichts gut ist?

Starck: Richtig! In einer Badehose etwa kann ich, sofern ich das möchte, auf die Straße gehen. Zeige ich mich aber in einer Unterhose in der Öffentlichkeit, werde ich dumm angeschaut und ausgelacht. Die Unterhose ist zwecklos. Sie ist eine scheinheilige Lüge. (Johanna Stöckl, RONDO, 9.8.2016)