STANDARD: Matthias Strolz ist neuerdings auch unter die Puppenspieler gegangen, indem er drei Neos-Wähler-Puppen vorgestellt hat. Würde er eine gute Puppe abgeben, Herr Habjan?

Habjan: Das hat Maschek doch schon gemacht.

Strolz: Ich fürchte, ja.

Habjan: Da meine nächsten Stücke mehr Richtung Oper gehen, ist er leider nicht vorgesehen.

STANDARD: Schade, bei Ihnen sind ja schon Dollfuß, Schuschnigg, Hitler, Mussolini und Haider als Puppen aufgetreten.

Strolz: Aber die Ahnenreihe ist schwierig, auf die würde ich lieber verzichten.

Habjan: Ich habe auch sehr sympathische Menschen als Puppen. Wie zum Beispiel Friedrich Zawrel. Das Stück Erbbiologisch und sozial minderwertig handelt vom Spiegelgrundüberlebenden. Er ist meine Lieblingspuppe. Nur in meinem letzten Projekt, bei der Staatsoperette, sind alle Führerfiguren aufgetreten.

Neos-Chef Matthias Strolz und Regisseur Nikolaus Habjan auf der Dachterrasse des Hotel Altstadt Vienna.
Foto: Der Standard/Christian Fischer

STANDARD: Das Stück thematisiert die Zwischenkriegszeit. Erkennen Sie Parallelen zu heute?

Habjan: Es ist mir zu einfach zu sagen, alles gehe wieder in die Richtung. Das Stück und der Blick auf den Austrofaschimus machen deutlich, wie fragil unsere Demokratie ist. Das knappe Ergebnis der Stichwahl hat gezeigt, wie wichtig jede einzelne Stimme ist.

Strolz: Die Demokratie ist nie ein Selbstläufer, sie muss immer erarbeitet werden. Wir sind in einer Phase, wo wir um eine liberale Demokratie kämpfen müssen. Es ist etwas in der Luft. Das spüren wir.

Habjan: Von allen Seiten.

Strolz: Trump, Le Pen, Orbán, Erdogan. Auch in Österreich. Die FPÖ ist so stark wie noch nie. Sie spielt mit dem Feuer, wenn sie versucht, die Grundfesten einer demokratischen Ordnung zu untergraben. Es war richtig, die Wahl aufzuheben, wenn so viele Unregelmäßigkeiten passieren wie zuletzt. Aber die Begleitmusik der FPÖ zielt generell auf Beschädigung der Demokratie ab.

Habjan: So wie die FPÖ auftritt und was sie vertritt, ist sie eine Gefahr für die Demokratie.

STANDARD: Was hat sich denn verändert?

Strolz: Es hat sich etwas verschoben, und das ist eine Bedrohung für unsere Gesellschaft. Die Zukunft ist vom Hoffnungsraum zum Angstraum geworden. Das ist bitter. Es lässt sich einfach alles leichter mit Angst verkaufen.

STANDARD: Eine Spaltung der Gesellschaft in Optimisten und Pessimisten, wie man auch beim Ergebnis der Stichwahl gesehen hat. Was bedeutet das für die Wiederholung?

Habjan: Ich befürchte, dass die Aufhebung für noch mehr Wählerverdruss sorgt. Davor habe ich Angst. Viele Leuten sehen die Entscheidung als Sieg der FPÖ. Das ist so, als würde man aus Angst vor dem Tod von der Klippe springen.

"Terror ist kein Thema, bei dem wir aufblühen. Das muss ich zur Kenntnis nehmen", sagt Matthias Strolz.
Foto: Der Standard/Christian Fischer

STANDARD: Sie haben in den vergangenen Wochen häufig Neuwahlen gefordert. Haben Sie keine Sorge, dass ihre Partei dabei untergehen könnte?

Strolz: Polarisierung ist für uns immer schwierig. An beiden Enden der Skala finden sich Kräfte, die es zugespitzter servieren. Deswegen müssen wir lauter werden und aktionistischer. Ich will die Leute nicht nerven mit dem ständigen Neuwahlfordern. Ich sehe nur, dass die Regierung nicht funktioniert, und das ist ein Jammer für Österreich. Wir haben die höchste Arbeitslosigkeit, während sie in anderen europäischen Staaten zurückgeht. Das ist ein Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt.

STANDARD: Neuwahlen könnten das Aus für die Neos bedeuten.

Strolz: Ich bin ein Demokrat und habe vor einer Wahl nie Angst. Und wir sind seit einem Jahr stabil bei sieben Prozent. Wir sind neben den Freiheitlichen die einzige politische Kraft, die wächst. Beide sind wir wütend über die Zustände im Land. Wir machen aber aus Wut Mut, und wir verbieten uns das Geschäft mit der Angst. Die Melange, die man mischen müsste, um Stimmen zu machen, kenne ich. Die scheidet für uns aber aus.

Habjan: Dazu braucht es mündige Bürger als Wähler. Es ist die Pflicht eines demokratischen Staates, ein Schulsystem zu gewährleisten, das eben mündige Bürger hervorbringt wie in Skandinavien. Jeder Schüler soll immer ermutigt werden, fragen zu können.

Strolz: Kein Kind darf beschämt werden. Es soll nicht um Pisa-Ergebnisse, sondern um eine humanistische Grundhaltung gehen. Wenn wir nach den Wurzeln von Amokläufen suchen, hat das sehr oft mit Beschämung und Kränkung zu tun. Wenn wir Schüler wegen ihrer Leistungen bloßstellen, braucht man sich nicht wundern, dass jährlich fünf bis achttausend Jugendliche im Jahr nach der neunten Schulstufe falsch abbiegen. Wir schauen da zu und fördern das auch noch.

STANDARD: Da will die Regierung mit der Ausbildungsgarantie gegensteuern. Sie sind dagegen. Warum?

Strolz: Weil das Gesetz nicht gut gemacht ist, wir verschieben das Problem nur um drei Jahre. Es ist aber weiter ein Bildungsthema, wir brauchen eine mittlere Reife, um festzulegen, was Jugendliche mit 15 können sollen. 40 Prozent der AMS-Gemeldeten sind Pflichtschulabgänger ohne weitere Ausbildung. Sie sind dann lebenslange AMS-Kunden. Wir brauchen einen ganzheitlicheren Bildungsbegriff.

"Kokettieren mit dem Nationalsozialismus ist genauso deppert – eine Sauerei, damit Stimmen zu machen", sagt Nikolaus Habjan.
Foto: Der Standard/Christian Fischer

STANDARD: Klingt es nicht zynisch, Humanismus einzufordern, wenn es Probleme bei den Lesekompetenzen gibt?

Strolz: Ich akzeptiere nicht, dass wir ein System haben, in das wir Milliarden investieren und wo 20 Prozent nicht lesen und schreiben können.

Habjan: Schulbildung muss vom Staat gewährleistet sein und muss auch vor Eingriffen des Marktes geschützt werden. Sie möchten doch, dass Schulen konkurrieren. Wird dann gemessen, wer die besseren Absolventen hat?

Strolz: Wir müssen unterschiedliche Typen zulassen, wie Montessori, Mehrstufenklassen oder Waldorf, weil die Schüler unterschiedliche Bedürfnisse haben. Die Schulen sollen konkurrieren und gleichzeitig kooperieren, damit der Markt nicht zu sehr wütet. Ich würde keine profitorientierten Schulerhalter zulassen.

STANDARD: Wie wollen Sie verhindern, dass es wenige Eliteschulen gibt, die viel Schulgeld verlangen?

Strolz: Wir sind für soziale Durchmischung und wollen sie auch gesetzlich verankern, mit einer Anreizfinanzierung. Brennpunktschulen sollen mehr Geld bekommen, weil sie größere Aufgaben haben. Wenn wir homogene Schulpopulationen herstellen, läuft die Spaltung der Gesellschaft weiter.

STANDARD: Herr Habjan, Sie beklagen, dass Menschen nur noch in Schlagzeilen denken. In sozialen Medien lassen viele ihren Emotionen freien Lauf. Haben Sie das schon erlebt?

Habjan: Viele Menschen haben nicht am Schirm, dass Facebook enthemmt. Sie posten über Durchfall, und sie rohen. Das geschieht dann unter vollem Namen. Ich bin auch in die Falle getappt und habe nach der Stichwahl ein emotionales, unsachliches Posting geschrieben. Ich habe ein Foto von Norbert Hofer mit einer Kornblume gepostet, ihre Bedeutung für Nationalsozialisten erklärt und seine Wähler als Trotteln bezeichnet. Darauf habe ich Morddrohungen erhalten. Es war unwesentlich, in welchen Kontext ich ihn gesetzt habe, sondern es ging um die Beleidigung. Die Drohungen habe ich nicht ernst genommen, auch wenn sie unter vollem Namen waren. Mit einer blauen Kornblume hat man nicht im Parlament zu sitzen. Das war in der Zwischenkriegszeit das Erkennungszeichen der illegalen Nazis. Es gibt auch andere blaue Blumen.

Strolz will mehr soziale Durchmischung an Schulen, um der Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Habjan stimmt zu, spricht sich aber gegen Eingriffe des Marktes auf Schulen aus.
Foto: Der Standard/Fischer

Strolz: Ein Vergissmeinnicht etwa.

STANDARD: Würden Sie Herrn Hofer auch als bekennenden Nationalsozialisten bezeichnen?

Strolz: Nein. Das ist eine unpassende Zuspitzung. Dass die FPÖ immer wieder mit dem Nationalsozialismus kokettiert, halte ich für widerwärtig, aber es macht sie nicht zu Nationalsozialisten. Das wäre eine Verharmlosung des Nationalsozialismus.

Habjan: Ich würde das so nicht mehr schreiben, sondern besser definieren. Das Kokettieren mit dem Nationalsozialismus ist genauso deppert – eine Sauerei, damit Stimmen zu machen.

Strolz: Das sehe ich auch so.

Habjan: Und wer sich aufgrund dieser Annäherungsversuche entschließt, Hofer zu wählen, ist ein Trottel. Das macht aber nicht jeden blauen Wähler zum Nazi.

Strolz: Wenn das für den Wähler das ausschlaggebende Argument ist, dann ist Trottel noch viel zu harmlos. Doch es ist grundlegend falsch, alle FPÖ-Wähler ins Nazi-Eck zu stellen. Viele sind wütend, und das verstehe ich.

STANDARD: ... und haben Angst. Hatten Sie nach Nizza oder Ansbach auch Angst, Herr Habjan?

Habjan: Natürlich kann auch bei uns etwas passieren. Aber unsere Gesellschaft ist so überdreht. Sobald es irgendwo kracht, war es der IS. Ich finde es unmenschlich, wenn Parteien wie die AfD oder auch die FPÖ das nutzen, um Stimmung zu machen und aus dem Leid Kapital schlagen.

Der Trailer zu "F. Zawrel, erbbiologisch und sozial minderwertig", für das Habjan 2012 mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet wurde.
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STANDARD: Was erwarten Sie von einem Politiker?

Habjan: Pietät. Sie müssen die Panik abbauen. Jemand, der so viel Aufmerksamkeit hat, müsste die Chance nützen und sagen, dass die Wahrscheinlichkeit größer ist, von einem Hai angegriffen zu werden, als Opfer eines Terroranschlags zu werden.

STANDARD: Als Politiker haben Sie die Wahl zwischen Aufhetzen und Beschwichtigung. Was ist Ihr Weg, Herr Strolz?

Strolz: Das Augenmaß. Ich poste nicht aus der ersten Emotion heraus. Das ist oft am nächsten Tag nicht mehr stimmig. Selbst ich würde dann fragwürdige Dynamiken bedienen. Ich musste mich nach dem Anschlag in Nizza wieder aufrichten. Das erschüttert mich als Mensch. Der erste Hilfsgriff wäre, einen Schuldigen zu suchen. Das verbiete ich mir.

STANDARD: Für die Neos sind aber Sicherheitspolitik und Terrorprävention nicht die Lieblingsthemen. Wie können Sie vermitteln, die Ängste vor Terror trotzdem ernst zu nehmen?

Strolz: Wir haben ein Antiterrorismuszentrum unter der Schirmherrschaft von Europol vorgeschlagen und einen EU-weiten Aktionsplan gegen Radikalisierung. Das müssen wir gemeinsam machen. Die IS-Kämpfer kommen aus 77 Ländern, da kann nicht jeder Staat sein eigenes Süppchen kochen. Terror ist kein Thema, bei dem wir aufblühen. Das muss ich zur Kenntnis nehmen.

Habjan: Auch wenn es schwierig ist, Europa ist wichtig. Gerade jetzt dürfen wir den Blick nicht nach innen richten. Der Terrorismus richtet sich nicht gegen Österreich, sondern gegen Europa. (Marie-Theres Egyed, 7.8.2016)