Das Individuum als "Weltenknotenpunkt" treibt die Künstlerin Elisabeth von Samsonow um, wenn sie Wesen aus den Stämmen von Lindenbäumen schneidet.


Foto: Sophie Thun

Krems – Eine vielsträhnige hinduistische Ehrenkette liegt um den Hals der pferdeköpfigen Göttin. Unterhalb ihres zuckerlrosa Tops findet sich ein Text über Akustik; genauer gesagt einer von Hermann von Helmholtz, der sich im 19. Jahrhundert mit der Physiologie von Klangwahrnehmungen befasste. Dass die kecke Göttin mit der Wespentaille auch zum Erklingen gebracht werden möchte, legen hinter ihrem Rücken aufgespannte Cellosaiten nahe.

Die aus Lindenholz geschnitzte und bemalte Schwarze Demeter (2012) von Elisabeth von Samsonow kann beispielhaft stehen für den Kosmos der 1956 in Bayern geborenen Künstlerin, wie man ihn aktuell in der Kremser Dominikanerkirche bestaunt: Wissenschaft und Religion, Kitsch und Hochkultur, Intellektualität und eher kindische Späßchen durchdringen einander in der Personale Transplants zwanglos.

Das Ich als Weltenknotenpunkt

Einen großen Teil der Schau machen Skulpturen aus Lindenstämmen aus, die an Kultobjekte oder Totems erinnern: wurzelumrankte, hölzerne Frauenfiguren oder freundliche Männlein mit übergroßen Ohren. Von Samsonow hat sie hier mehr, dort weniger mit floralen Filzstiftornamenten oder Ausschnitten aus Zeitschriften dekoriert. Der üppig bemalten Kapitolinischen Wölfin (mit Schatten) aus dem Jahr 1998 hat sie als Symboltier ein Plüsch- Einhorn umgehängt.

Manche Objekte – etwa eines, das hauptsächlich aus riesigen, glühbirnenerleuchteten Ohrwascheln besteht – erinnern nur entfernt an den Menschen. Derselbe bleibt für von Samsonow, die an der Akademie der bildenden Künste philosophische und historische Anthropologie der Kunst unterrichtet, allerdings stets Bezugspunkt. Die Frage, die sie umtreibt, ist jene, was ein "Individuum" ausmacht – insbesondere, aber nicht nur das weibliche. Das Ich versteht sie dabei als "Weltenknotenpunkt", wie sie in einem in der Ausstellung gezeigten Interview sagt.

Dass von Samsonow die Skulptur der Malerei vorzieht, hat indes mit der Körperlichkeit des Materials zu tun: Wenn sie in ihrem Atelier im niederösterreichischen Hadres "Wesen" aus Baumstämmen herausschneidet, dann sollen sich nämlich in Künstlerin und Kunstwerk zwei "gleichwertige Körper" gegenüberstehen, die sich "gegenseitig zu verstehen versuchen". Wie man sich diesen Prozess vorzustellen hat, machen von Samsonows Performances nachvollziehbar, die man in der Dominikanerkirche über Videos erschließt: So schlüpfte sie etwa in begehbare Baumstämme hinein, um theoretische Texte vorzutragen. Oder sie zupfte und strich an den Objekten montierte Saiten, um ihnen eine "Stimme" zu geben.

Spannung und Last

Von Samsonows Faible für Streichinstrumente bestimmt auch eine eigens für Krems angefertigte Installation. Ihr monumentales Labor des Endo-/Exokorpus (2016) ist sozusagen ein begehbares Streichinstrument. Weit über Kopfhöhe ragen dessen Stege auf, über die meterlange, schnarrende Saiten gespannt sind. Gezupft werden sie von Motoren, die mit ihrem Surren das Ihrige zur beunruhigenden Klangwolke beitragen, die die Kirche erfüllt.

Ein wenig könnte man den Eindruck gewinnen, die monumentale Installation sei eine weitere Hommage an Hieronymus Bosch, in dessen Tafelbild Garten der Lüste die Hölle mit überdimensionalen Folter-Musikinstrumenten ausstaffiert ist. Nahegelegt wird diese Assoziation nicht zuletzt dadurch, dass die Ornamente auf den riesenhaften Stegen des von Samsonow'schen Instruments an Totenköpfe erinnern können. Gedacht ist die Installation indes als Kontrapunkt zur schwer lastenden Steinarchitektur der Kirche. "Spannung kommentiert Last", erklärt die Künstlerin lakonisch.

Beigegeben sind dem spektakulären Labor des Endo-/Exokorpus Kopfbedeckungen mit papierenen Blütenblättern, dank deren man sich selbst auch ein wenig wie ein Pflänzchen fühlen kann. Man kann damit aber auch tolle Selfies machen: nur ein Beispiel dafür, wie die Schau Transplants bei intellektuellem Unterbau auf zugängliche Inszenierung setzt. Von Samsonow gibt den Augen allerdings nicht nur Futter, sondern manchmal gleich eine Zuckerbäckertorte. Ein gerüttelt Maß an Kitschverträglichkeit braucht man daher sicher, um über ihre Witze lachen zu können. (Roman Gerold, 16.8.2016)