Ob Österreich tatsächlich ein Notstand droht, wenn in diesem Jahr mehr als 37.500 Asylwerber zum Verfahren zugelassen werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös beantwortet werden. Im vergangenen Jahr hat das Land rund 88.000 verkraftet, die Nettozuwanderung betrug laut dem am Dienstag präsentierten Integrationsbericht mehr als 113.000 Menschen.

Es kristallisiert sich aber immer mehr heraus, wieso vor allem die ÖVP auf die schnellstmögliche Einführung der Notverordnung drängt. Denn sollte der Stopp auf der Balkanroute nicht halten oder die Türkei den Flüchtlingsdeal mit der EU nicht einhalten, sieht das von Sebastian Kurz geführte Außenministerium fast keine anderen Möglichkeiten, den Zuzug von Flüchtlingen zu begrenzen.

Vom Nachbarland Ungarn erhalte Kurz etwa "keinerlei Signale", Flüchtlinge zurückzunehmen. Auch Rückführungen ins Nachbarland Italien würden nur "eingeschränkt" funktionieren. Solidarität innerhalb der EU? Fehlanzeige. 81 Prozent der Asylanträge im Vorjahr wurden in nur sechs – von noch 28 – Mitgliedsländern gestellt: Deutschland, Schweden, Österreich, Italien, Frankreich, Ungarn.

Und kann ein Asylwerber in Österreich, für den ein anderes Land gemäß Dublin-System zuständig wäre, nicht binnen sechs Monaten rückgeführt werden, weil das betroffene Land den Flüchtling nicht nimmt, wird das Verfahren in Österreich durchgeführt. Die Bundesregierung steckt diesbezüglich im Dilemma, die geplante Notverordnung ist gleichzeitig Bankrotterklärung und Hilferuf.

Flüchtlingsbewegungen wie im Jahr 2015 seien einmalig "verkraftbar", sagt Heinz Faßmann, der Leiter des Expertenrats für Integration. Mit mehreren solcher Jahre würde Österreich unter "Wachstumsstress" wegen des Mehrbedarfs an Wohnungen, Jobs oder Ausbildungsplätzen leiden. Kurz reicht schon das vergangene Jahr. Er verweist auf den Anstieg der Arbeitslosigkeit bei anerkannten Flüchtlingen.

Mit jener Vehemenz, mit der er als Außenminister um die Notverordnung kämpft, sollte er als Integrationsminister dagegen ankämpfen, dass diese gefährliche Entwicklung nicht weiter fortgeschrieben wird. Sprache und Bildung sind der Schlüssel zu Integration, das hat Kurz etwa mit dem Ausbau der Deutschkurse erkannt – und die bisher teilweise mangelhafte Sprachförderung für Migranten eingestanden. Löblich sind auch die Kompetenzchecks und das Anerkennungsgesetz, um Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu bringen.

Hier sind aber noch größere politische Anstrengungen nötig. Ein-Euro-Jobs für gemeinnützige Tätigkeiten, zusätzlich zu Sozialleistungen, könnten Flüchtlingen wie von Faßmann angeregt in der Integration helfen; eine Lösung im größeren Kontext sind sie aber freilich nicht.

Flüchtlinge zieht es vor allem nach Wien, während die Jobs derzeit eher in Westösterreich zu finden sind. Hier muss von der Politik lenkend eingegriffen werden. Nicht nur mit einer einheitlichen Mindestsicherung, um Wien etwas aus dem Fokus nehmen, sondern auch mit einer etwaigen Residenzpflicht. Noch besser wäre es freilich, Integrationsangebote österreichweit anzupassen: Mit einer einheitlichen Mindestsicherung, die auch Integrationspflichten einmahnt und Leistungen belohnt, könnte ebenfalls eine bessere innerösterreichische Aufteilung erreicht werden. (David Krutzler, 16.8.2016)