Flüchtlinge sollten freiwillig dazu gebracht werden, sich an Orten, wo Personalknappheit herrscht, anzusiedeln, sagt Arbeitsökonomin Biffl.

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Auch Selbstständigkeit müsse gefördert werden, sagt Biffl.

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STANDARD: Derzeit kümmert sich das Arbeitsmarktservice um 25.000 Flüchtlinge. Kommen wir mit den geplanten Maßnahmen aus?

Biffl: Die 25.000 wären keine so große Herausforderung, weil die Menschen verteilt sind. Nur eventuell nicht richtig. Man sollte dort, wo es auf dem Arbeitsmarkt gewisse Arbeitskräfteknappheiten gibt, prioritär Flüchtlinge ansiedeln – natürlich mit ihrer Einwilligung.

STANDARD: Zum Beispiel in Tirol, wo die Tourismusbetriebe klagen, dass sie keine Mitarbeiter finden?

Biffl: Man muss überlegen, wo man mit vergleichsweise geringem Aufwand den Arbeitsmarkt "bedienen" kann, und, wo Bedarf ist, Firmen und Flüchtlingen konkrete Angebote machen.

STANDARD: Gehen sie nicht dorthin, wo sie Freunde haben?

Biffl: Personen aus Syrien hatten wir in Österreich, anders als Schweden und Deutschland, in der Vergangenheit kaum. Anders ist es bei Afghanen, bei denen es eine relativ starke Konzentration auf Wien gibt. Genau diese Population, vorwiegend junge Männer, braucht die meiste Unterstützung, weil die Qualifikationen besonders gering sind. Mit einer Basisausbildung hätte man gute Chancen, zu Pflichtschulabschlüssen zu kommen. Das muss nicht in Wien sein, sondern eben auch dort, wo Anschlussmöglichkeiten bestehen. Etwa im Gastgewerbe.

STANDARD: Wie kann man diese Menschen motivieren?

Biffl: Für Afghanen ist es überraschend, dass eine Ausbildung auch im Gastgewerbe drei Jahre dauert. Ein großer Teil von ihnen ist subsidiär schutzberechtigt. Sie sollten also mit der Ausbildung, die sie hier machen, auch etwas anfangen können, wenn sie zurückgehen. Da kommt die Frage der Selbstständigkeit ins Spiel.

STANDARD: Die Menschen haben wohl irgendetwas gearbeitet und damit auch Qualifikationen.

Biffl: Gerade in Afghanistan gibt es eine lange Tradition der nomadisierenden Händler. Viele sind offenbar ausgebildet im Umgang mit Pferden, andere sind Schneider. Viele Leute, die vorher im Textilbereich gearbeitet haben, konnten sich in Änderungsschneidereien oder als Schuster entfalten.

STANDARD: Das bedeutet Konkurrenz für eingesessene Migranten.

Biffl: Die Bereiche, in den diese Menschen grosso modo hineingehen könnten, sind Tätigkeiten im unteren Lohnsegment, die stark unter Wettbewerbsdruck leiden. Der Druck steigt natürlich.

STANDARD: Wo sehen Sie noch Möglichkeiten?

Biffl: Sehr viele kommen auch aus dem ländlichen Raum. Es kann sein, dass sie Basiskompetenzen für Gartenarchitektur haben. Man könnte aber auch Tätigkeiten rund um Ernährung, Hospitality-Services, ethnische Kunst und Kultur überlegen. Auch das ist kein einfacher Arbeitsmarkt. Im Gegenteil. Hier braucht es für den Aufbau und die Organisation in einem so reglementierten Land wie Österreich Unterstützung.

STANDARD: Sie sprechen von Gründerinitiativen?

Biffl: Genau. Oder Agenturen, wie es sie im Bereich der 24-Stunden-Pflege gibt. Diese kümmern sich um Qualifizierung der Mitarbeiter, um Buchhaltung, Rechtssysteme, aber auch darum den Arbeitsplatz, also eine zu pflegende Person finden. Das könnten Start-ups machen, wie es im Bereich dieser Pflegeagenturen zum Teil Private oder NGOs gemacht haben. Die Pflegerinnen sind häufig Selbstständige. Es braucht ermöglichende Organisationsstrukturen.

STANDARD: Jetzt lautet die Devise, die Menschen so schnell wie möglich in Maßnahmen zu bringen. Ist das die bestmögliche Lösung?

Biffl: Die derzeitige Situation ist so etwas wie eine Beschäftigungstherapie. Man weiß, man muss etwas machen, und Deutsch wird man schon brauchen. Sprachkurse sollten aber an eine bestimmte Tätigkeit gebunden sein. Dönerkebabs gab es einst nicht. Die Leute haben das für den eigenen Konsum gemacht, mit Kompetenzen, die sie hatten. So etwas braucht es, damit sie rasch arbeiten können.

STANDARD: Wer soll das unternehmerische Denken fördern?

Biffl: Die Industriellenvereinigung bemüht sich sehr. Die Wirtschaftskammer, die auch Gewerbeinteressen vertreten muss, wird eher leisertreten. Denn es wird eine Art der Basarökonomie sein, von der man einstweilen gar nicht will, dass sie kommt. Aber wenn man will, dass die Leute eigenständig arbeiten können, wird man es ermöglichen müssen. Das wird notwendig sein, damit die Gesellschaft das akzeptiert.

STANDARD: Das würde aber die Verpflichtung voraussetzen, in einer Region auch sesshaft zu werden.

Biffl: Solange wir keine Regelung haben, die eine gewisse Verpflichtung bedeutet in einer Region zumindest für drei Jahre zu bleiben, ist es ganz klar, dass es eine Wanderung in die Gegenden gibt, wo es auch für Nichtarbeit eine Unterstützung gibt. (Regina Bruckner, 18.8.2016)