Ein Rebell, dem alle Kraft aus den Gliedern gefahren ist: Georg Baselitz' Gemäldeserie "Helden" – dieses stammt aus dem Jahr 1965 – bricht das idealisierte deutsche Heldenbild der Kriegsjahre auf.

Foto: Friedrich Rosenstiel, Köln

Die Helden sind müde. Sie lehnen an Bäumen, die bluten, deren Äste fast abgehackt sind. Die Typen sind angeschlagen, sie bluten, Eingeweide quellen heraus. Sie liegen im Dreck. Waffen haben sie keine. Krieger sind sie nicht. Eher Melancholiker, Bedrückte. Helden? Neue Typen? Doch genau so, Helden und Neue Typen, nannte 1965/66 der 1938 in Sachsen geborene, 1957 nach Westberlin übersiedelte Maler Georg Baselitz eine große Serie von Bildern und Zeichnungen. Nun wird mit 70 Werken diese Suite ein halbes Jahrhundert nach ihrem Entstehen im Frankfurter Städel-Museum so umfassend wie niemals zuvor präsentiert.

Der Held, das war zwanzig Jahre zuvor im Sinne der "Blut und Boden"-Ideologie der blonde, arische Kämpfer in der Uniform der Waffen-SS gewesen. Und das war seit 1951 – nach der Formalismusdebatte, dem Landesverweis der westlichen Avantgarde – in der DDR der proletarische Held des Sozialistischen Realismus à la Otto Nagel, Walter Womacka und Walter Sitte. Von beidem setzte sich Baselitz durch seinen Antiheroismus und einen schlierigen, sichtbar schnellen Pinselduktus ab.

Malen, weiter malen und neu malen

1965 war Baselitz Stipendiat der Villa Romana in Florenz. Und sah damals – er war das erste Mal überhaupt in Italien – die italienischen Manieristen im Original. Die Sechziger waren in der Kunstszene einerseits spätes Informel und materialistische Pop-Art. Andererseits das Jahrzehnt, in dem Jörg Immendorff 1966 ein X auf die Leinwand pinselte und dazu schrieb: "Hört auf zu malen". Der Einzige, der das wortwörtlich nahm, war Baselitz' engster Malermitstreiter Eugen Schönebeck, der auch so gestisch-figürlich malte wie sein Freund. Mit ihm hatte er zwei, drei Jahre zuvor ein Abbruchhaus in Westberlin besetzt und in eine Kurzzeitgalerie umgewidmet, in der sie ihre Arbeiten zeigten. Durchschnittliche Besucherfrequenz pro Tag: maximal einer.

Die Frankfurter Schirn widmete Schönebeck vor fünf Jahren eine Retrospektive. Da war er schon ein Geist der Kunsthistorie, hatte er doch 1967 die Kunst an den Frühpensionsnagel gehängt. Seither lebt er äußerst zurückgezogen von raren Verkäufen seiner raren alten Bilder. Nicht so Baselitz, der 1964 von der deutschen Staatsanwaltschaft wegen Unzüchtigkeit seines Bildes Die große Nacht im Eimer geklagt worden war, ergebnislos, und heute einer der teuersten Gegenwartskünstler ist. Jüngst brüskierte er mehrere Museen in Deutschland, als er im Zuge der sich abzeichnenden Ratifizierung eines neuen Kulturschutzgesetzes spontan viele Dauerleihgaben abzog.

Vor zehn Jahren malte Baselitz als "Remix" alte Bilder neu nach, damals in der Albertina zu sehen. Und erstaunte durch eine fauvistische Farbigkeit, die sich von den etwas geschmäcklerischen Farbkombinationen der 1990er-Jahre – Lavendel, Blassrosa – entfernt hatte. Der hochgehandelte deutsche Maler, der mehr als 30 Jahre in einer Burg nahe Hildesheim residierte, bevor er sich nach einer Zwischenstation am bayerischen Ammersee 2013 in Salzburg niederließ, stützte sich zu Beginn seiner Laufbahn auf eine Palette von Erdfarben, auf Braun, Grün, Beige, Ochsenblutrot.

Er versah seine unförmigen Gestalten – die Schultern in der Regel zu breit, die Köpfe viel zu klein – mit rätselhaften Behältnissen, mit Körben, die keine Körbe sind. Fellwesten tragen diese Unheroen oder bis zum Schritt aufgerissene Uniformjacken.

Unpassende Experimente

Dass die "Heldenbilder" noch nie zuvor so breit facettiert gezeigt worden sind, hat triftige Gründe. Denn vor allem in den Schlusssälen sieht man Gemälde, Entwürfe und Vorbereitungszeichnungen, die kaum mehr als qualitativ passable Formfindungsexperimente sind – und die in einer musealen Ausstellung recht wenig zu suchen haben. Sowohl der erste Teil im Obergeschoß als auch der zweite im Souterrain mit unterschiedlichen Wandfarben – von Tiefrot über Laubgrün zu Hellbeige – setzt unglücklich ein, gleich mit den stärksten Bildern, oben mit Bild für die Väter, Versperrter Maler und Oberon, unten mit Die großen Freunde.

Dass die Helden jetzt schon müde sind, ist kein gutes Zeichen. Müssen sie doch nach der Station im Städel-Museum noch weiterwandern, nach Stockholm, nach Rom, ins Guggenheim-Museum in Bilbao. Und ein anderes Deutschlandbild vorführen, eines der Ausgepowerten und früh Ermatteten. (Alexander Kluy aus Frankfurt, 21.8.2016)