Cleo Panther, Sängerin der Parov Stelar Band.

Foto: APA/Herbert P. Oczeret

Sportfreunde Stiller sorgten für schöne Erinnerungen.

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Der US-Musiker Anderson .Paak bei einem Konzert in Austin.

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St. Pölten – Seit den Anfängen des FM4-Frequency-Festivals in der Salzburger Almidylle gehört er zum Inventar. Und auch in St. Pölten sieht man ihn neuerdings wieder gehäuft: Den Blumenkranz aus Plastik, getragen im Haar oder als Kette um den Hals. Vielleicht ist er ja so etwas wie das Sinnbild des Festivals. Er sieht gut aus, gemahnt ironisch an "Love and Peace", Fruchtbarkeit, das blühende Leben und ist doch in sich widersinnig. Weil eben aus Plastik. Er täuscht vor, was nicht ist; und tut so, als ob.

Plastikblumenkranz heißt Fasching. Und Fasching heißt Umkehrung der Machtverhältnisse – auf Zeit. Auch das suchen Menschen am FM4-Frequency-Festival. Gut möglich auch, dass das bunte Treiben in St. Pölten – Hand in Hand mit Halloween oder Public-Viewing-Sportereignissen – am vor allem in Ostösterreich beklagten Nachwuchsproblem des echten Faschings, jener altbackenen Gaudi zwischen November und Aschermittwoch, eine gewisse Mitschuld trägt. Soziologen sollten es prüfen.

Die Führungsriege der Bierpartei

Fasching sind auch Turbobier. Die junge, witzige Punkrockband aus Simmering hat nach dem Studium älterer und neuerer Edmund "Mundl" Sackbauer-Erzeugnisse beschlossen, den Untergang des echten Wieners ein wenig zu bremsen. Am Freitagnachmittag luden sie vor eingefleischten Fans auf der "Greenstage" zur heiligen Biermesse. Im schwierigen Fach des Alkoholkonsums ist Österreich bekanntlich Weltspitze. Künstlern wie Alkbottle, Turbobier, Wanda und Neo-MTV-Star Andi Gabalier kommt das entsprechend entgegen.

Turbobier haben in ihrer Funktion als "Führungsriege der Bierpartei" allerdings auch spaßige Politsatire im Programm: Gefordert werden "No a Rund’ statt Überstund’" und "Volle Krüge statt Lohnabzüge". Das passt.

Danach nahm die Fat White Family Aufstellung. Die Lieder der 2011 gegründeten Postpunk-Band aus Brixton handeln von Perversionen sexueller, politischer und gewaltsamer Art. Das Konzept der Provokation um jeden Preis versteht man als radikal linkes Statement. Musikalisch breitet das verschrobene Sextett einen für Frequency-Verhältnisse extrem schrägen Klangteppich aus, der mit harten Trommelschlägen geklopft wird. Lias Kaci Saoudi, mehr Aktionskünstler als Sänger, changiert zwischen Grummeln mit heruntergelassener Kinnlade und hysterischem Seele-aus-dem-Leib-Brüllen. Referenzen wie The Velvet Underground, The Fall und Joy Division werden genannt. Zur Freude des Bandkassiers und zum Erhalt lieblich-sommerlicher Plastikblumen-Atmosphäre ging das Konzert – ungewöhnlich, aber doch – ohne Zwischenfälle über die Bühne. Es hätte sich schlicht nicht ausgezahlt.

Bezaubernder Anderson .Paak

Die Weekender-Indoor-Bühne gehörte am Freitag ganz dem gereimten Wort. Von den Hip-Hop-Veranstaltern Beat the fish hervorragend kuratiert, präsentierte man Rap aus den USA, Deutschland und Österreich. Großer Andrang herrschte beim Salzburger Michael Zöttl, der unter dem Namen Dame via Youtube zum Star wurde. Gelungen ist ihm das mit eingängigen Rapsongs über Computerspiele, heute spricht er vom Genießen des "Low Life" ("Stress ist nicht gesund") und dem Entschwinden aus der Leistungsgesellschaft ("Die Dokumentenmappe landet im Müll"). Schade nur, dass neben den Raps auch seine Show-Moderation im zwecks Reichweitensteigerung antrainierten norddeutschen Idiom erfolgen muss. Das ginge auch anders.

Wie überhaupt die gesamte Rapmusik anders gehen kann, zeigt der vom jungen Youtube-Publikum noch unbeachtete Anderson .Paak. 2015 ging der Stern des 30-Jährigen US-Amerikaners wie aus dem Nichts auf, weil er mit Dr. Dre für dessen Abschiedsalbum Compton kollaborierte. Mit dem Welterfolg hat es der Spätzünder mit bewegter Vergangenheit (u.a. kurzer Obdachlosigkeit) nun eilig. Und das zu Recht. Denn seine energiegeladene, vor Witz, Sexappeal und Lebensfreude nur so sprühende Liveperformance, gehörte eigentlich auf die ganz großen Bühnen. Es ist feine, gut überlegte Kunst, wie Anderson .Paak seinen Soul-Gesang mit Rap und dem jazzig bis funkigen Spiel seiner Begleitband kurzschließt, dabei auch fette Elektronikbeats einstreut und sich obendrein auch noch selbst ans Schlagzeug setzt. Seine Wiederkehr nach Österreich sollte man sich im Kalender gleich doppelt notieren.

Lieder für Herz und Hüfte

Zumindest vormerken könnte man sich auch das für 7. Oktober angekündigte, siebente Studioalbum ("Sturm und Stille") der Sportfreunde Stiller. Seit genau 20 Jahren stehen Peter, Flo und Rüde aus Bayern nun schon auf der Bühne. Noch immer treibt ihr hymnischer "Softpop" (Eigendefinition) dem Massenpublikum Tränen in die Augen. Freundlich, klug und selbstironisch wie eh und je muss man die Sportis einfach immer noch gerne haben. Kitsch ist erlaubt, wenn er ehrlich klingt. Am Ende des Konzerts zündeten im Publikum silberglitzernde Bengalen. Applaus, Applaus für ein Fest der Liebe.

Was auf emotionaler Ebene schwer zu toppen war, gelang mit Bravour auf Höhe der Hüfte. Dass sich der Linzer DJ Marcus Füreder alias Parov Stelar, Spiritus Rector des Electro-Swing, irgendwann dazu entschlossen hat, seine Sampling-Werke mit Liveband aufzuführen, war vermutlich die beste Entscheidung seines Lebens. Es ist ein musikalisch wertvolles Tanz- und Partyereignis, das da seit nun schon einigen Jahren über große Bühnen der Welt tourt und nun zum ersten Mal in diesem Jahr wieder ein Heimspiel gab. Auf kaum eine andere Band hätte sich das Publikum – von jung bis alt – mehr verständigen können. Marcus Füreder ließ sich die E-Zigarrette schmecken, der Schuh eines grimmigen Securitys wippte heimlich im Takt und mit einem Mal begannen all die Plastikblumenkränze ein wenig nach Natur zu riechen. (Stefan Weiss, 20.8.2016)