Ippolito Nievo, der tätig zupackende Mitstreiter Garibaldis: Als Autor "modellierte" er die Idee eines geeinten italienischen Staatsvolkes.

Foto: Folio-Verlag

Wien – Tugendhaftigkeit und Güte sind die Ideale im literarischen Kosmos des italienischen Romantikers Ippolito Nievo. Nievo, der 1831 in Padua geboren wurde und erst 30-jährig bei einem tragischen Schiffsunglück starb, schuf in nur wenigen Jahren ein beachtliches Werk: zunächst Lyrik und Übersetzungen (u. a. aus dem Deutschen den frühen Heine), theoretische Schriften und in den letzten Lebensjahren seine zum Teil erst posthum erschienenen Theatertexte, Romane und Erzählungen, die bis heute nur unzulänglich auf Deutsch erhältlich sind.

Zwar liegt bei Manesse eine wunderbare Übersetzung des venezianischen Romans Angelo di bontà (Ein Engel an Güte) von Barbara Kleiner vor – eine vom Autor im "vorigen Jahrhundert" angesiedelte Geschichte der jungen, herzensguten Morosina, die ihre Reinheit und titelgebende Güte im unmoralischen Sumpf des dekadenten Venedig im 18. Jahrhundert verteidigen muss. Doch Nievos Hauptwerk, die Bekenntnisse eines Italieners, ebenfalls von Kleiner für Manesse übersetzt, ist nicht lieferbar.

Umso erfreulicher ist da die Initiative des Folio-Verlages, der unter dem Titel Am Ufer des Varmo drei von Karin Fleischanderl stimmig übersetzte, um 1855 entstandene Dorfgeschichten Nievos herausgegeben hat.

Der Varmo, das Ziel der Lektürereise, ist ein "lieblicher Fluss, der frei durch Felder und Wiesen fließt". An dessen Ufern geben sich in der ersten, titelgebenden Erzählung zwei Müllerskinder ihren fröhlichen Spielen hin. Die Spitznamen des wilden Duos lauten Favitta und Sgricciolo – Spatz und Zaunkönig, denn den Vögeln schenkt Nievo in seinen ausführlichen Schilderungen der reizvollen Natur des Friauls besondere Aufmerksamkeit.

Am Vorabend der Einigung

Die Figur der Favitta, der ungestümen Müllerstochter, die erst durch Läuterung einen tugendhaften Weg einschlägt, verweist auf Nievos berühmte Bekenntnisse: Darin erinnert sich der 80-jährige Icherzähler an die Schönheit seiner Kindheitslandschaft im Friaul und an das wilde Mädchen Pisana, seine Cousine.

Doch während die Bekenntnisse ein zutiefst politisches Buch sind, das die demokratische Gesinnung des Autors ausdrückt, zeigen die Dorfgeschichten gewissermaßen am Vorabend der italienischen Einigkeitsbewegung das Leben der einfachen Landbevölkerung als idealisierte, moralisch geprägte Idylle.

Nievo, der von Foscolo und Manzoni, aber auch Rousseau geprägt wurde, war mit Leib und Seele politisch engagierter Venetianer (sic!), der sich literarisch und an den Waffen für das Risorgimento eingesetzt hat. 1860 nahm er an Garibaldis berühmtem "Zug der Tausend" teil, in den ländlichen Erzählungen skizzierte er die Tugenden des einfachen Volkes, das zur Nation zusammenwachsen sollte.

Engelsgleiches Gemüt

Flüsse sind in diesem literarischen Kosmos nicht politische Grenzen, sondern sie bilden die Kulisse großmütiger Taten der bescheidenen Heldinnen und Helden. Pierino, der sich für die Müllersfamilie abrackert, die engelsgleiche Santa, die ihren cholerakranken Bruder pflegt und sich für ihren Herrn aufopfert, und schließlich die uneitle Colomba, auch sie ein "Engel an Güte" – sie alle werden am Ende ihrer Geschichten für ihr selbstloses Handeln belohnt.

Die sentimentalen Happy Ends und das Loblied auf die Landbevölkerung mögen auf den ersten Blick gar idealisiert wirken, doch Nievo lässt ironische Schattierungen zwischen den Zeilen hervorschimmern. (Isabella Pohl, 23.8.2016)