Tom Appleton, geboren 1948 in Berlin, wuchs in Teheran und Deutschland auf. Heute lebt der Autor und Journalist in Neuseeland.

Foto: Jerome Matilainen

Wien – Die Pubertät ist an sich schon eine schwierige Zeit. Der Frühling erwacht mit Trara, der Körper spielt einem merkwürdige Streiche. Am Ende dieser eher unangenehmen Metamorphose soll man günstigstenfalls auf seinen eigenen zwei Beinen zum Stehen kommen. Für den Protagonisten von Tom Appletons Roman Hessabi kommen zu alldem aber noch andere Scherereien.

Zunächst einmal ist Adam Hessabi als Perser in Westdeutschland ein Ausländer, weshalb er es im schulischen Sozialdarwinismus der 1960er-Jahre erst recht schwer hat. Noch gravierender ist aber, dass er sich fragen muss, was seine Eltern vor ihm verheimlichen. Ob sie überhaupt mit ihm verwandt sind? Was geschah in seiner Kindheit, an die er sich nur per Fotos erinnern kann?

Diese Fragen treiben den Coming-of-Age-Roman Hessabi voran, eine fiktive autobiografische Erzählung. Man lernt ein zerrüttetes Elternhaus kennen, in dem eine schreiwütige, irr werdende Mutter regiert. Der Vater verreist immer wieder beruflich, ohne dass Hessabi wüsste, welcher Tätigkeit er eigentlich nachgeht.

Ein Gedankentunnel zu den Beatles

Sein schlitzohriger Bruder arrangiert sich mit der Ellbogengesellschaft, betreibt dubiose Geldgeschäfte, bisweilen grausame – angelegentlich macht er sich gar zum Zuhälter eines geistig behinderten Mädchens. Adam hat es dagegen mehr mit Sprachen, Literatur und Musik. Eine Ecke im Internatskeller mit einem Bücherregal und einem Klavier wird ihm zum geliebten Refugium.

Mit Hessabis Ambitionen als Songwriter hat es dabei eine besondere Bewandtnis: Meist wenn er ein Lied komponiert, bringen ein ganz ähnliches bald darauf die Beatles heraus. Da macht er sich zum Beispiel eines Nachts Rührei und ersinnt eine kleine, melancholische Melodie, und zack: Aus ebendieser machen die Pilzköpfe nicht lange darauf Yesterday, das bekanntlich ursprünglich "Scrambled Eggs" – Rührei – heißen sollte.

Appletons gewitzter Einfall ist offensichtlich eine Anspielung auf jene Plagiatsvorwürfe, die Paul McCartney 2003 ereilten und denen er entgegenhielt, Yesterday sei eben "über Nacht zu ihm gekommen". Laut Appletons Fiktion entstand jedoch praktisch das gesamte Schaffen der Beatles unter "stillem persischem Einfluss" aus Deutschland.

Weltgeschehen und Pop

Manches spricht dabei dafür, dass Hessabis "hellseherische Gabe" – eine Schlüsselidee des Romans – auch daher rührt, dass alle Beteiligten dieselbe Atmosphäre atmen, unter demselben "Apfelbaum" leben, wie es einmal heißt. Zusammenhänge zwischen Mikro- und Makrokosmos, zwischen Weltgeschehen, Popkultur und Jugendwirren, die Hessabi feinfühlig wahrnimmt, spielen immer wieder eine Rolle.

Besonderes Gewicht kommt indes auch den Widrigkeiten zu, denen der feingeistige Held im deutschen Schul- bzw. Internatssystem ausgesetzt ist, vorwiegend ein "Uhrwerk der Gewalt". Ob Hessabi nun eine Deutschlehrerin mit einem Romananfang zum Thema Muttermord irritiert oder mit einer unkonventionellen Kafka-Auffassung Anstoß erregt: Immer wieder variiert Appleton die Reibereien zwischen einer kreativitätsfeindlichen Pädagogik und seinem kunstsinnigen Protagonisten.

Als Licht am Ende des Tunnels erscheint Hessabi zeitweilig eine Mitschülerin namens Lucy, die nicht nur seine erste große Liebe ist. Nein, ihre amerikanische Familie vermag ihm zum ersten Mal so etwas wie Geborgenheit zu geben. Der Abnabelungsprozess des Helden steuert dennoch auf eine jähe und – im vorteilhaften Sinne – ambivalente Kehre zu: Als ihn sein Vater eines Tages zwangsverheiraten will, stimmt Hessabi fast reibungslos zu.

Längen stellen sich im Roman vor allem dort ein, wo die Haupthandlung eher zum Trägermedium zu verkommen scheint: für eine manchmal sogar ermüdende Auffädelung von Anschauungsbeispielen, etwa im Sinne der Kritik an Schule und Sozialdarwinismus. Abgesehen davon weiß Hessabi jedoch mit einigen Überraschungen und einem sympathischen und humorvollen Erzähler aufzuwarten, dessen eloquenten Reflexionen über seine Jugend man durchaus gerne zuhört. (Roman Gerold, 25.8.2016)