Eine bulgarische Pensionistin muss weiterhin mit ihrer kleinen Rente in Lew auskommen. Eine Ausgleichszulage in Euro aus heimischen Sozialtöpfen wurde ihr verweigert.

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Wien – Rumänen, Bulgaren und Staatsbürger anderer ärmerer EU-Länder, die nur wegen der Sozialleistungen in wohlhabendere Länder wie Österreich oder Deutschland migrieren: Diese "Bedrohung" beschäftigt Politik und Gerichte. Letztere – allen voran der Europäische Gerichtshof – haben in den letzten Jahren ihre Judikatur verschärft. Nun ändert auch der Oberste Gerichtshof in Österreich seine Gangart.

Am deutlichsten wird das anhand einer neuen Entscheidung, bei der eine Bulgarin zu ihrem Sohn nach Wien übersiedelte. Da sie aus ihrem Heimatland nur eine Rente von 111,22 Euro im Monat bezog, machte sie Anspruch auf Ausgleichszulage – eine Art Mindestpension – geltend. Gegen die Abweisung des Antrags durch die Pensionsversicherungsanstalt berief sie erfolgreich und bekam auch vor dem Berufungsgericht recht. Folge: ein Bezug von zuletzt 523,45 Euro monatlich. Der Grund: Die Frau verfügte über eine aufrechte Anmeldebescheinigung. Der dafür notwendige Nachweis ausreichender Existenzmittel gelang der Pensionistin dank einer Schenkung ihres Sohnes über 10.000 Euro, wobei der Betrag umgehend an den Nachkommen zurückfloss.

Gilt auch für Mindestsicherung

Der OGH revidierte die Entscheidung und hielt klar fest, dass es sich bei Aufenthaltsrecht und Sozialleistungsanspruch um zwei verschiedene Dinge handle. Der klare Spruch der Höchstrichter, mit dem sie von ihrer bisherigen Judikatur wie beispielsweise im Fall Brey abgehen: EU-Bürger, die nicht erwerbstätig sind, können "auf Grundlage von Unionsrecht keine Ansprüche auf Sozialleistungen wie die Ausgleichszulage geltend machen". Mit dem niedrigen Rentenbezug falle die Bulgarin "eindeutig in die Kategorie der Armutszuwanderung". Diese Entscheidung gelte bei Nichterwerbstätigen auch für andere Sozialleistungen wie beispielsweise die Mindestsicherung, erläutert dazu Robert Rebhahn, Sozialrechtsprofessor an der Uni Wien.

Münchhauseneffekt

Er hat zu dem Problemkreis den Begriff Münchhauseneffekt geprägt: Ausländer erhalten den Aufenthaltstitel nur dank innerfamiliärer Zuwendungen, ohne die sie auf Sozialleistungen angewiesen wären – was der Gesetzgeber verhindern will. Der rechtmäßige Aufenthalt hätte dann aber sehr wohl den Anspruch auf Transfers zur Folge.

Schon im Mai kam es zu einem Urteil, bei dem einem Rumänen eine Ausgleichszulage vorenthalten wurde. Allerdings war hier die Sozialleistung schon erstinstanzlich verwehrt worden: Die vorgewiesenen Existenzmittel stammten aus einem Kredit seiner Schwester, wodurch sich die Behörde getäuscht sah.

Judikatur als Brexit-Treiber

Rebhahn wirft dem EuGH vor, die Unionsbürgerschaft mit seiner früheren Rechtsprechung "als Hebel für einen weiteren gerichtsinduzierten Integrationsschub zu nutzen". Nach den Rufen aus mehreren Mitgliedstaaten nach einer Neuregelung habe der EuGH die politischen Signale "wohl gehört". Hätte der Gerichtshof schon früher diesen Weg eingeschlagen, dann wäre vielleicht manche Ursache der Brexit-Debatte nicht entstanden, heißt es in einem noch unveröffentlichten Beitrag Rebhahns für die "Österreichische Juristen-Zeitung".

Die Armutsmigration dürfte sich bisher in Grenzen halten. Laut Pensionsversicherung beziehen 1.264 aus dem Europäischen Wirtschaftsraum stammende Zuwanderer eine Ausgleichszulage, davon waren fast 500 Deutsche, 293 Rumänen und 143 Bulgaren. (Andreas Schnauder, 26.8.2016)