Das Gartendeck im zweiten Stock des Erste Campus.

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Mitarbeiter im "Open Space": Sie sollen sich dort jeden Tag einen neuen Schreibtisch suchen.

Foto: Christian Wind

In der Mittagspause mit den Zehen im Gras spielen? Auf dem Erste Campus, nahe dem Belvedere in Wien, ist das möglich. Dort sprießt auf einer rund 6.000 Quadratmeter großen Dachfläche giftgrüner, geschniegelter Rasen. Zierkirschen, Kiefer- und Ahornbäume ragen daraus hervor. Alle der rund 4.500 seit Anfang des Jahres im Gebäude arbeitenden Mitarbeiter haben zum Gartendeck Zugang. Gegen elf Uhr vormittags findet sich jedoch erst rund ein Dutzend dort ein, die meisten Raucher. Ein Blick schräg hinunter führt zu Terrassen, die an die Büros angrenzen. Dort haben sich ein paar weitere Grüppchen versammelt.

Gesundheitsförderung von oben

Der gebotene Freigang, der Blick ins Grüne sollen das Wohlbefinden der Mitarbeiter steigern, sagt Eva Höltl, Leiterin des Gesundheitszentrums des Erste Campus. Was für einen gesunden Betrieb notwendig ist, darum ging es auch kürzlich in einem auf dem Campus stattfindenden Round Table. Mitorganisiert wurde er vom Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF).

Österreich, hieß es dabei, sei beim Thema Gesundheitsförderung im europäischen Vergleich "vorn dabei". Insgesamt haben in diesem Jahr bereits 248 Unternehmen das Gütesiegel des BGF erhalten. Um auch gut zu bleiben, "reicht einen Apfelkorb ins Büro zu stellen aber nicht", sagt Josef Probst, Generaldirektor der Sozialversicherungsträger. Gesundheitsförderung müsse auch strategisch in der obersten Managementebene verankert werden. "Sie ist keine Rocket-Science – nichtsdestotrotz braucht es Ziele." Und auch die Einbeziehung der Mitarbeiter sei wichtig, denn sonst würden sie auch die besten Angebote nicht nutzen.

Ganz andere Bedürfnisse

Genau das versuche man auch auf dem Erste Campus, sagt Arbeitsmedizinerin Höltl. Man wolle auf die Bedürfnisse aller eingehen. Diese seien teilweise ganz unterschiedlich, da Mitarbeiter "sehr heterogene Tätigkeiten ausführen, sich in sehr heterogenen Lebenswelten befinden". Ein Lehrling etwa habe ganz andere Nöte als ein 50-Jähriger. Deshalb bietet man in einem eigenen Fitnessraum Rückenübungen ebenso wie Zirkeltraining an – insgesamt 38 Stunden pro Woche (wobei sich Mitarbeiter die Kurse selbst zahlen müssen). Auch eine eigene Hotline, an die sich Mitarbeiter für psychologischen Rat wenden können, hat man eingerichtet.

Was Höltl beim Thema Gesundheitsförderung offenbar manchmal Kopfzerbrechen bereitet: "Unternehmensrelevante Themen sind sehr privat." So schlagen sich familiäre Probleme, eine Krankheit oder Trennung schnell in der Performance im Job nieder. Hier ist Einmischung nur bedingt möglich und sinnvoll.

Homebase statt fixer Schreibtisch

Bei der Erste Group versuche man daher, mit viel Verständnis aufzuwarten. Eingeführt wurde etwa eine schrittweise Wiedereingliederung nach einem Krankenstand. Auch ausreichend Auszeiten sollen den Mitarbeitern gegeben werden und die Möglichkeit, sich die Arbeit selbst einzuteilen. Beispielsweise hat jeder das Recht, einen Tag pro Woche im Homeoffice zu bleiben. Egal ob der Chef das gut findet oder nicht.

Auch die Büros sollen selbstbestimmtes Arbeiten ermöglichen. Mitarbeiter haben hier keinen fixen Platz, sie können ihren Laptop auf jedem beliebigen innerhalb einer "Homebase", einer Abteilung, aufklappen. Oder eben im Café oder auf dem Gartendeck. "Activity-based working" nennt sich das Konzept. Es soll die Kommunikation untereinander fördern.

Auch für Chefs gilt Open Space

Ob es bei jedem so gut ankommt, keinen eigenen Schreibtisch mehr zu haben? "Wir nehmen niemandem den Arbeitsplatz weg, wir bieten ihm fünf bis sechs Möglichkeiten", sagt dazu Peter Weiss, Leiter des Campus-User-Programms bei der Erste Group. "Einige schätzen das, andere weniger", so Weiss. Auf 75 zu 25 schätzt er das Verhältnis zwischen Wechslern und den Nichtwechslern. Die Mitarbeiter selbst sehen das freilich etwas anders: Nur etwa 35 Prozent würden wirklich jeden Tag wechseln, sagt ein Mitarbeiter. "Natürlich sucht sich jeder am liebsten in derselben Ecke wieder ein Platzerl", sagt eine andere Mitarbeiterin.

Dass selbst die obere Führungsetage das partizipative Arbeiten lebt, will Weiss wissen lassen. "Auch die Vorstände, selbst Andreas Treichl sitzt mit seinen Kollegen im Open Space", sagt er. Der Verzicht auf das eigene Büro sei ein bewusster Verzicht auf Statussymbole. Und wie kommt der Platzwechsel beim 08/15-Abteilungsleiter an? "Wir haben 500 Führungskräfte, natürlich haben wir nicht 500 Weltmeister", räumt Weiss ein. Selbstverständlich habe man noch ein Stück des Weges zu gehen, sagt er und zitiert CEO Treichl: "Das Gebäude haben wir. Jetzt müssen wir nur noch schauen, ob wir dazu passen." Weiss ist zuversichtlich.

Kein klassischer Großraum?

Wobei der Erste Campus auch "kein klassisches Großraumbüro ist". Und tatsächlich: Überall gibt es bunt möblierte Sitzecken, Pflanzen, dazwischen rustikale Holztische. Die klassischen Arbeitsplätze sind in Viererblöcken angeordnet. Wer will, kann im Stehen arbeiten. Einige Mitarbeiter nutzen das. Teams teilen sich Wandregale für Fotorahmen und Co. Böden und Trennwände aus besonders schalldämpfenden Materialien schlucken den ärgsten Lärm. "Wir haben für die Entwicklung des Büros mit Wissenschaftern der Technischen Uni zusammengearbeitet", sagt Weiss. Geflüstert werden muss trotzdem. (Lisa Breit, 4.9.2016)