Wien – Alles ist ein Spiel. Oft ein tödliches, aber ein Spiel. Wer bewahrt im entscheidenden Moment die Übersicht und damit die Kontrolle? Wer kann den nächsten Schritt des Gegners vorhersehen? Die Faszination des Kriminalfilms ist von jeher von diesem präzise geplanten Abtausch bestimmt: vom ewigen Kampf zwischen Gesetz und Verbrechen.

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Sie beherrschten den französischen Kriminalfilm über Jahrzehnte: Lino Ventura, Jean-Paul Belmondo und Alain Delon sind die eigentlichen Stars der Retrospektive "Wahl der Waffen".
Fotos: Filmarchiv / Österr. Filmmuseum / Everett Collection / picturedesk.com

Doch jedes Spiel braucht seine Akteure – und Gesichter. Der amerikanische Kriminalfilm wusste das schon immer sehr genau, in den klassischen Gangsterfilmen der Dreißigerjahre mit Edward G. Robinson ebenso wie in der Schwarzen Serie mit ihren Hard-boiled Detectives vom Schlage Humphrey Bogarts. Das waren zynische Typen, gewaltbereit, korrupt und mit dem Leben längst fertig. So wie auch die vermeintlichen Hüter des Gesetzes sich im Kino als gewaltbereit, korrupt und mit dem Leben längst fertig herausstellten. Diese Grenze zu überschreiten ist im Kriminalfilm bis heute so einfach, wie auf die andere Straßenseite zu wechseln.

Gegen die Ordnung

Für das europäische Genrekino hatte die Macht der Waffe jedoch schon immer eine andere Bedeutung. Und es war vor allem der französische Kriminalfilm der Nachkriegsjahre, der neben dem italienischen Mafiafilm besonders seismografisch auf die gesellschaftlichen Umbrüche reagierte.

Selbstverständlich gab es die amerikanischen Vorbilder und – spätestens mit den Filmautoren der Nouvelle Vague wie Godard und Truffaut – auch eine gehörige Portion Bewunderung, doch das Genre blieb dennoch stets empfänglich für nationale Einflüsse aus Literatur und Popkultur. So übertrug etwa der Roman noir – mit seinen Krimigeschichten von Léo Malet – sein amerikanisches Pendant auf französische Szenarien und befeuerte wiederum das Autorenkino. Und es gab etwas noch Wichtigeres als gute Bücher – es gab, wie bei den Amerikanern, die richtigen Gesichter.

Sich die Retrospektive Wahl der Waffen. Der französische Kriminalfilm 1958-2009 im Österreichischen Filmmuseum ohne Jean-Paul Belmondo, Alain Delon und Lino Ventura vorzustellen ist undenkbar. Alle drei prägten sie das Genre für Jahrzehnte, verliehen ihm eine Körperlichkeit und, mehr noch, eine Physiognomie. Das Lächeln Belmondos ebenso wie die Blicke Delons und die Falten Venturas. Letzterer, der Älteste der drei mit italienischen Wurzeln, kam zufällig zum Film, um gleich bei seinem ersten Auftritt neben Jean Gabin in Wenn es Nacht wird in Paris (1954) einen Unterweltler zu mimen. Die kantige, untersetzte Statur des ehemaligen Catchers und die charakteristischen Furchen auf der Stirn – sie waren unnachahmlich in Venturas Darstellung gezeichneter Charaktere, die bereits zu Beginn immer zu viel vom Leben wussten.

Trailer zu "Le Deuxième souffle" ("Der zweite Atem").
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In der Filmschau, die noch Ausläufer des Genres versammelt, ist Ventura mit fünf Arbeiten vertreten – darunter Klassiker wie Louis Malles Fahrstuhl zum Schafott (1959) und Jean-Pierre Melvilles Der zweite Atem (1966), in dem er von Polizei und Gangstern gleichermaßen gehetzt wird. Ventura ist dabei unbedingt als Charakterdarsteller wiederzuentdecken, der die Rolle des zermürbten Außenseiters mit existenzieller Tragik ausfüllt. In einer seiner besten Arbeiten, Claude Sautets Der Panther wird gehetzt (1960), wird dies am schönsten deutlich: Als Gangster auf der Flucht, Frau und Freund erschossen, versorgt er noch seine zwei kleinen Söhne, ehe er zum tödlichen Rachefeldzug gegen die alten Partner antritt.

Trailer zu "Classe tous risques" ("Der Panther wird gehetzt").
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Der junge Mann, der Ventura mit einem umgebauten Rettungswagen aus Paris zu Hilfe kommt, avancierte gerade mit Godards im selben Jahr entstandenem Außer Atem zum neuen Star des französischen Kinos. Jean-Paul Belmondo ist das rotzige Bubengesicht des Genres, und bereits in diesem ganz raren gemeinsamen Auftritt mit Ventura kann man deutlich erkennen, worauf es Belmondo ankommt: auf eine Lockerheit des Ausdrucks, auf den Charme der Gerissenheit. Belmondo war die Identifikationsfigur für ein junges Kinopublikum, das dem Kleinbürgergeist der frühen Sechziger im Kino entfloh. Belmondos authentisches Auftreten spiegelte die Unbekümmertheit, aber auch die politischen Umwälzungen dieser Jahre perfekt wider: Nicht als unnahbarer Held stand er zur Verfügung, sondern als Garant gegen die bürgerliche Ordnung.

Reinheit in Perfektion

Trailer zu "Le Cercle rouge" ("Vier im roten Kreis").
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Die Unnahbarkeit in Perfektion wiederum war der andere große Star des neuen französischen Kinos, der ebenfalls 1960, in René Cléments Highsmith-Adaption Nur die Sonne war Zeuge, für Furore sorgte: Alain Delon. Belmondos Gewitztheit war Delons Kaltblütigkeit, die in seinen stilisierten Arbeiten mit Jean-Pierre Melville, in Der Eiskalte Engel (1967), Vier im Roten Kreis (1970) und Un Flic (1972), zur ikonografischen Vollendung gebracht werden sollte. Dass mit dem grandiosen Der Clan der Sizilianer (1969) von Henri Verneuil in der Schau ausgerechnet eine seltene Zusammenarbeit von Ventura und Delon fehlt, muss man verschmerzen. Dafür kann man beobachten, wie Melville mithilfe von Delon den Gangsterfilm zu absoluter Reinheit führt – und in die unerträgliche Einsamkeit. In einer zeitgenössischen Kritik zu Der Eiskalte Engel hieß es: "Melville und Delon zeigen das wie ein Chirurg eine heikle Herzoperation. Was nicht zur Sache gehört, ist abgedeckt. Es zählt allein, was im gewählten Ausschnitt geschieht. " (Michael Pekler, 8.9.2016)