Wien – "Wann gibt's denn Essen?" – "Um zwölf nicht. Sagen wir, um Viertel nach." – "Und was gibt's?" – "Selleriesuppe und Huhn aus dem Ofen mit Bohnen, Spinat und Kürbis. Das ist zumindest, was ich da hab." – "Okay, also nichts für Gemüsehasser", sagt Eveline Nutz-Pizzamei und rauscht ab, um das Mittagsmenü auf die Tafel vor dem Marktstand zu schreiben. Serviert wird dann doch erst gegen 13 Uhr. Um 8,90 Euro sind die zwei Gänge beim "Milchbart" auf dem Meidlinger Markt im zwölften Bezirk in Wien zu haben.

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Christian Chvosta kocht sie täglich in der winzigen Küche des Gastrostands. Was genau er zubereiten wird, weiß der 33-Jährige oft erst, wenn er schon mittendrin ist. Es könne aber "nichts Schlechtes herauskommen, solange die Qualität der Zutaten passt", sagt der gelernte Koch und Grafiker – und schwärmt vom Johannisbeeressig, den seine Kollegin Nutz-Pizzamei angesetzt hat. Sie bäckt seit einem Jahr auch täglich Kuchen oder stellt Sirup und Gelees im Milchbart her.

Für die Ingredienzen dreht Chvosta morgens mit seinem Longboard eine Runde auf dem Markt. Er kaufe immer "ein bissl was" ein, sei "unorganisiert" und mache alles nach Augenmaß. Das scheint anzukommen.

Sarah Brugner

Der Meidlinger Markt galt früher als tote Ecke. 2012 sei dort "nichts los gewesen", sagt Chvosta. Alle hätten ihm von dem "abgefuckten" Ort abgeraten. Für ihn sei der Markt aber, mit dem frei werdenden ehemaligen Kebabstand, "Liebe auf den ersten Blick" gewesen. Er habe gespürt, dass das Grätzel ein "Nährboden für Neues" sei – und er hatte immer schon davon geträumt, sich selbstständig zu machen. Als Student der Internationalen Entwicklung und Fotograf sei er nie zufrieden gewesen, also eröffnete er "das erste Bobolokal" des Meidlinger Markts.

Bobos und Alteingesessene

Die "Bobomeile", die inzwischen entstanden sei, sei nichts Schlechtes, denn ohne sie wäre dort "gar nichts", sagt Chvosta. Neben den Obst- und Gemüsestandlern gibt es nun etwa auch einen Stand für Craft-Beer oder für regionale Feinkostprodukte. Der Verein Purple Sheep betreibt das integrative Lokal Purple Eat.

"Es war, als ob die Leute darauf gewartet hätten, dass sich eine Community bildet", erzählt Chvosta. So ist etwa der Verein Wir sind 12 seither mit Belebungsinitiativen in ganz Meidling aktiv. Die neuen Pächter würden sich mit den alteingesessenen Standlern gut verstehen. Es sei aber auch klar, dass nicht jeder Neues ausprobieren wolle. "Wenn ich hier in 30 Jahren immer noch einen Stand habe, will ich vielleicht auch nicht gleich alles machen, was mir die Jungen vorschlagen." Es gebe trotzdem "ein Miteinander".

Sarah Brugner

Mit der Geflügelstandlerin plaudert Chvosta beim Einkaufen ein paar Minuten, mit dem Verkäufer vom Gewürzstand scherzt er kurz herum. "Das ist der Lumpi", sagt Chvosta und zeigt auf einen kleinen Hund, den wohl alle auf dem Markt kennen. "Die Milch ist da", ruft inzwischen die Betreiberin vom Stand nebenan.

Noch kommunikativer geht es im Lokal zu: "Wenn es bei uns stressig wird, stehen schon mal fünf hilfsbereite Stammgäste in der Küche und waschen ab", erzählt Chvosta. Und wenn er mal allein sei, könne es vorkommen, dass er einen Kunden bittet, sich das Bier selbst zu zapfen. "Oder ich nehm jemandem das Essen wieder weg, weil ich finde, dass noch eine Zutat fehlt."

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Gäste mit Zukunftsträumen

Im Winter ist die Wohnzimmeratmosphäre perfekt, dann "drängen" sich die Gäste an vier Tischen zwischen Pölstern in Schnurrbartform in dem kleinen Stand zusammen. Freitags können alle mitbestimmen, was gekocht wird, und donnerstags gibt es Burger, weil das "alle wollten".

Chvosta sieht sich selbst als Vermittler. "Ich quatsch halt alle an." Wenn ihm jemand etwas erzähle, sage er immer gleich: "Ah, dann red doch mit dem dort drüben." Vieles, was sich auf dem Markt seit 2012 getan hat, habe damit angefangen, dass ihm Gäste von ihren Ideen oder Träumen für die Zukunft erzählt hätten – "und jetzt machen sie's. Der Markt ist wie das AMS von Meidling." (Christa Minkin, 11.9.2016)