Wien – Die Umstände waren tragisch. Einer seiner Söhne kam während der Aufnahmen zum neuen Album ums Leben. Die geplanten Dreharbeiten zur Kinodokumentation One more Time with Feeling, die die Studioarbeit für die jetzt veröffentlichten Songs von Skeleton Tree begleiten sollten, gingen weiter (Regie: Andrew Dominik). Es war wohl auch dem unerbittlichen Arbeitsethos Nick Caves geschuldet, der seit Jahren zum Komponieren ins Büro geht wie ein Mönch zum Morgengebet.

Nick Caves Album "Skeleton Tree" ist ein Dokument der Trauer wie der Perspektivlosigkeit.
Foto: Wohnzimmer

Anlässlich des Erscheinens des Albums wurde der Film nach seiner Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Venedig jetzt am Donnerstag vorerst einmalig weltweit in ausgesuchten Kinos gezeigt. Hier kann man die gleichzeitige Entstehung von Film und Musik nicht trennen, dafür kokettieren Musiker und Regisseur zu sehr mit sich selbst und dem scheinbar beiläufig beobachteten oder nur aus dem Augenwinkel ignorierten Gegenüber: One more Time with Feeling behauptet sehr bewusst Schonungslosigkeit.

Die hagiografische Doku ist in "ehrlichem" Schwarzweiß gehalten – und sie schrammt während knapp zwei Stunden mehr als einmal hart an der Grenze von unterstelltem Künstlergenius und Sozialporno entlang. Das mag bei aller verständlichen Trauerarbeit von Cave und seiner ebenfalls im Film auftauchenden Familie sowie den mit Ausnahme des musikalischen Direktors Warren Ellis sprachlosen langjährigen Mitmusikern seiner Begleitband The Bad Seeds verschiedene Ursachen haben. Narzissmus vor und Voyeurismus hinter der Kamera dürften dabei allerdings nicht die geringsten Gründe gewesen sein.

Nick Cave & The Bad Seeds

So mitunter schwer zu ertragend die pathosgetränkten, angeblich nüchternen und sachlichen Filmklafter daherkommen, so routiniert trauerumflort klingen auch die neuen Lieder Nick Caves auf dem Endergebnis Skeleton Tree. Treue Wegbegleiter seiner Kunst mögen das nicht gern hören wollen, aber Fakt ist – und dies wird ja auch im Film gesagt: Ein Trauma lähmt alle Beteiligten.

Das künstlerische Leiden hat im Abendland eine jahrtausendealte Tradition. Um dem Leiden aber wirklich auf die Spur zu kommen, ist es notwendig, davon im Sinne einer teilnehmenden Beobachtung entsprechend Abstand halten zu können. Sei es nun der Ausübende oder der Betrachter: Bedauernswert sind all jene, die glauben, dass es sich bei künstlerischer Inszenierung um authentisches Handeln oder Erleiden handelt.

Den Schmerz, den Nick Cave in neuen, melodiös wie textlich verhaltensunauffälligen Liedern verhandelt, konnte man von ihm so trotz aller damaligen Aufgesetztheit schon vor 30 Jahren haben. Damals wütete allerdings noch eine bissige Band im Hintergrund. Heute hören wir in minimalistischen Songs wie Jesus Alone oder Magneto von analogen Synthesizerschlieren und Keyboard-Grundakkorden und Grenzlandchören nur mild befeuertes Klaviergeklimper, über das Nick Cave seine schon länger nicht mehr narrativen lyrischen Einfälle spricht.

Im besten Fall, etwa in Anthrocene, klingt das wie Altvater John Cale auf seinem Klassiker Music for a New Society von 1982. Den Rest der Lieder hat Nick Cave ein paar Jahre danach auch schon ein- oder zweimal geschrieben. (Christian Schachinger, 9.9.2016)