Die Österreichische Gebärdensprache(ÖGS) ist in Österreich kein offizielles Unterrichtsfach, was zu Problemen führt.

Foto: ÖGS

Villach – Bilingualer Unterricht für gehörlose Kinder findet in vielen europäischen Ländern statt. "Das ist gut so, und jetzt wissen wir es definitiv. Vor zwei Jahren kannten wir die US-Unterrichtspraxis für Gehörlose besser als die in Europa", sagt Verena Krausneker von der Universität Wien. Gemeinsam mit drei Kolleginnen aus Deutschland, der Slowakei und der Schweiz hat die Linguistin mit Schwerpunkt Sprachenrechte und Gebärdensprachen soeben das Erasmus+Projekt "De-Sign Bilingual" abgeschlossen.

Erstmals wurde der Ist-Zustand bimodal-bilingualer Schulbildung für Hörbehinderte und Gehörlose in 39 europäischen Ländern erhoben. Der Fachausdruck bimodal-bilingual bezieht sich auf zwei parallel verwendete Unterrichtssprachen – die jeweilige nationale Gebärden- und Lautsprache – und ihre zwei Modalitäten (visuell-gestisch und akustisch).

Aus den qualitativen und quantitativen Befragungen von Fachleuten, Schulleitern, gehörlosen und hörenden Pädagogen so- wie Interessenvertretungen ergibt sich ein erstaunlich einheitliches Bild für Europa. In keinem der 39 untersuchten Länder wurde Gebärdensprache für überflüssig erklärt, was angesichts Prothesen für Hörbehinderte (Cochlea-Implantat) immer wieder diskutiert wird. Das Projektteam befragte 62 Fachleute und 14 Gehörlosen-Selbstvertretungen mit Fokus auf fördernde und hinderliche Faktoren, rechtliche Absicherung, Ausbildung und Lehrplänen. Die vier Forscherinnen identifizierten drei wichtige Entwicklungsbereiche für den bimodal-bilingualen Unterricht: die Lehrerausbildung, die rechtlichen Grundlagen und negative Haltungen in Bezug auf Hörbehinderungen.

Bilinguale Initiativen

Nur in einem Viertel der 39 untersuchten Länder gibt es umfassende, universitäre Ausbildungen für Gehörlosenpädagogik. Die meisten Pädagogen und Pädagoginnen werden zum Teil erst an den bilingualen Schulstandorten in Gebärdensprache ausgebildet. In 80 Prozent der 39 Länder können Kinder einen bilingualen Schulstandort besuchen, wobei nur 40 Prozent der Länder landesweit gültige Regelungen haben, wie zum Beispiel einen Lehrplan für das Fach der nationalen Gebärdensprache oder ein Recht auf bilinguale Schulbildung in Gebärden- und Lautsprache. So gibt es in Berlin-Brandenburg einen Rahmenlehrplan für Deutsche Gebärdensprache und in Hamburg seit 25 Jahren die renommierte Elbschule – beides sind regionale Strukturen.

Fast immer gehen die bilingualen Schulen auf Eltern- oder Schulleiterinitiativen zurück. "Im europäischen Vergleich gestaltet oft nicht der Staat die bilinguale Schulbildung für Gehörlose, sondern Grassroots-Bewegungen. Gesetzliche Grundlagen würden den Leitenden, Lernenden und Lehrenden mehr Sicherheit geben", sagt Krausneker. Bei der Untersuchung von Good-Practice-Schulstandorte in Frankreich, Österreich, Griechenland, der Tschechischen Republik, Estland, Schweden, Norwegen und Deutschland zeigte sich: "Inklusiver, bilingualer Unterricht in gemischten Klassen wird in vielen Ländern als schwierig angesehen. Dennoch haben wir eine Reihe unterschiedlicher Lösungen gefunden, die oft in Eigeninitiative entwickelt wurden und gut sind."

In Wien werden in drei Mehrstufenklassen hörende und hörbehinderte Schüler im Team von gehörlosen und hörenden Pädagogen unterrichtet. Die erschwerende Besonderheit hierzulande: "Deutsch in Wort und Schrift" ist ein offizielles Unterrichtsfach "Österreichische Gebärdensprache (ÖGS)" aber nicht. Am untersuchten Standort in Frankreich werden gehörlose Volksschüler ausschließlich von gehörlosen Pädagogen unterrichtet, im Gymnasium der Regelunterricht mit Gebärdensprache-Dolmetschern begleitet. In Norwegen gibt es Teilzeit-, Vollzeit -, und Tagesschüler. Ein Vertrag zwischen der Schule am Wohnort und der Gehörlosenschule hält fest, wie viel Einbettung in ein gebärdensprachiges Umfeld nötig ist. Teilzeitschüler haben Fernunterricht in Norwegischer Gebärdensprache.

Verena Krausneker wünscht sich, "dass die Politik Sprachenrechte erst nimmt und funktionierende Lösungen mit gesetzlichen Rahmenbedingungen unterstützt". Gemäß des Fokus der Erasmus+Projekte auf Verbreitung der Forschungsergebnisse wurde eine interaktive Karte mit Länderprofilen erarbeitet. 13 Pädagogen entwickelten zudem Materialien und Werkzeuge für gelingende bilinguale Bildung. Ergebnisse des Projekts werden am 16. September bei einer Tagung an der Universität Wien präsentiert. (Astrid Kuffner, 18.9.2016)