Wien – Die ÖVP feuert aus allen Rohren gegen die Vorschläge von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) für eine Neuausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik. Parteichef Reinhold Mitterlehner rückte den Kanzler in der "Presse" (Mittwochsausgabe) in die Nähe des Kommunismus, Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) bezeichnete ihn über die "FAZ" (Mittwochsausgabe) als "linken Ideologieträger".

"Ich erkenne hier Tendenzen eines realen Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Ich bin der Meinung, dass dieser Weg längst von der Geschichte falsifiziert worden ist", sagte Mitterlehner in Anspielung auf den kommunistischen Ostblock. Der Vizekanzler betonte, dass der Staat "bereits genug Geld" ausgebe und "Erarbeiten" vor "Verteilen" komme. "Wir brauchen eine Marktwirtschaft mit soliden Rahmenbedingungen", so Mitterlehner, der auch Freihandelsabkommen wie Ceta mit Blick auf die Arbeitsplätze in der österreichischen Exportwirtschaft verteidigte.

Schelling: "Doppelter Salto zurück"

Schelling richtete dem Kanzler über die konservative "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) aus, seine Thesen "widersprechen in vielerlei Hinsicht der Realität". Kern fordere nämlich mehr Schulden und Umverteilung, obwohl dieser Weg in die Sackgasse führe, meinte der millionenschwere Ex-Unternehmer mit Blick auf die Euro-Schuldenkrise. "Für mich sind diese Gedanken ein doppelter Salto zurück."

Kern hatte in dem am Montag veröffentlichten "FAZ"-Beitrag einen radikalen Kurswechsel in der europäischen Wirtschaftspolitik gefordert. Er kritisierte, dass die EU von den Bürgern "primär als Promotor einer unfairen Modernisierung gesehen" werde und damit mitverantwortlich sei für den Aufstieg des Rechtspopulismus. Der SPÖ-Chef bekräftigte seine Kritik an Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA und forderte eine massive Erhöhung der öffentlichen Investitionen in der EU. Selbst die von den sozialdemokratischen Regierungschefs geforderte Verdoppelung des Juncker-Investitionsplans auf 315 Milliarden Euro "wird wohl nicht reichen".

"Gift für den Wohlfahrtsstaat"

Schelling sagte dazu, dass Schulden "das Gift und nicht die Heilung für unseren Wohlfahrtsstaat" seien. Der Staat müsse sich nicht stärker, sondern weniger einmischen. Der frühere Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger verwies in diesem Zusammenhang auf die umstrittenen Sozialreformen des deutschen Kanzlers Gerhard Schröder (1998-2005), auf denen die heutige Wirtschaftskraft Deutschlands beruhe. Dank der "Agenda 2010" gebe es in Deutschland die beste Beschäftigungslage der Geschichte und eine "schwarze Null" im Budget.

Der Ex-Spitzenmanager griff den Kanzler auch persönlich an, indem er ihm indirekt die unternehmerische Erfahrung absprach. Kerns Blickwinkel sei "womöglich verzerrt", weil er nicht aus der freien Wirtschaft komme, sondern "aus einer staatlich geförderten 'Privatwirtschaft'", sagte Schelling in Anspielung auf die ÖBB.

Kerns Retourkutsche

Der Bundeskanzler hat die ÖVP-Kritik an seinen Vorschlägen zur Reform der EU-Wirtschaftspolitik zurückgewiesen. Sie sei "Ausdruck einer bestimmten rechten Ideologie", sagte Kern im Ö1-Mittagsjournal. Sich selbst sieht er auf einer Linie mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der kein Sozialdemokrat sei.

Kern verwies darauf, dass Juncker am Mittwoch in seiner Rede zur Lage der Europäischen Union eine Verdoppelung des EU-Investitionsfonds gefordert habe, um Beschäftigung anzuregen. "Das ist das, was ich auch möchte. Der Herr Juncker ist ja bekanntlich Mitglied der Europäischen Volkspartei und nicht der Sozialdemokraten."

Keine gemeinsame Linie

Schelling verteidigte seine Kritik, er habe "keine negative Assoziation" mit dem Begriff "linker Ideologieträger", den er im "FAZ"-Interview verwendet hatte. Die Aussage sei "nicht persönlich" gemeint, sagte der Finanzminister in einem "ZiB"-Interview. Kern sei "die Speerspitze der sozialdemokratischen europäischen Regierungen" beim Vorantreiben des Projekts.

Der ÖVP-Politiker beklagte, dass Kern seinen Vorstoß nicht mit dem Koalitionspartner abgestimmt habe. "Der Bundeskanzler fordert Teamgeist von der Bundesregierung ein. Wenn man solche Überlegungen anstellt, wäre es gut, dass man es als Regierungslinie anstreben würde", sagte der frühere Wirtschaftskammer-Vizepräsident. (APA, 14.9.2016)