"Die politische Diskussion über die Vermischung von Sexismus und Rassismus ist die Basis für alle Projekte", sagt Ivana Marjanović.

Foto: Daniel Jarosch

Nataša Mackuljak: "Kunst muss sich an den Debatten, an den gesellschaftlich relevanten Fragen beteiligen."

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STANDARD: "Forever together" ist der Titel der diesjährigen Wienwoche. Dabei machen Sie sich auf die Suche nach einer Politik der Verbundenheit, der Liebe und Freundschaft als Basis solidarischen Handelns. Welche Verbindungen sehen Sie zwischen Kunst und Solidarität?

Ivana Marjanović: Solidarität ist ein politisches Anliegen und eine der Hauptfragen linker Debatten. Uns beschäftigt, in welcher Form man sich mit anderen politischen Kämpfen solidarisieren kann. Dieser Gedanke definiert auch unsere künstlerischen Interessen und prägt die Kunstprojekte, die wir initiieren oder kuratieren. Ich kann mich nicht nur auf ein spezifisches Thema festlegen: Ich bin Feministin, aber ich bin auch Teil anderer politischen Kämpfe und gesellschaftlicher Debatten.

Nataša Mackuljak: Wir kommen beide von der Akademie der bildenden Künste, wo die Auseinandersetzung mit Postcolonial Studies, Queer Studies prägend war. Es war auch ein persönlicher Prozess, den ich durchlaufen habe. In den 1990er-Jahren war ich Teil feministischer Gruppen und Antikriegsinitiativen in Belgrad. Ich bin mit Feministinnen aufgewachsen und so zur Aktivistin geworden. Nachdem in meinem Leben auch immer Kunst wichtig war, ist diese Verbindung für mich selbstverständlich.

Marjanović: Innerhalb der Akademie gab es viel Aktivismus, das Refugee Protest Movement zum Beispiel. Es war uns wichtig, nicht nur auf Lehrpläne zu schauen, nicht nur darauf, was gelehrt wird, sondern auch darauf, wer hier lehrt und studiert. Innerhalb der Institution haben wir darum gekämpft, sie für alle zu öffnen, auch für Nichtprivilegierte.

STANDARD: Das Programm der Wienwoche stellt herrschende Ordnungen radikal infrage. Was kann Kunst, was Politik nicht leisten kann?

Marjanović: Kunst ist ein spannendes Feld, weil es auf einer Ebene mit der politischen Vorstellungskraft, mit der Fantasie arbeitet. Wie könnte eine solidarische Welt aussehen? Kunst verändert unseren Blick auf die Gesellschaft, darauf, wie wir die Welt sehen – auch darauf, was wir als Grenzen wahrnehmen.

Mackuljak: Für diese gesellschaftlichen Fragen sind beide Bereiche verantwortlich: Kunst muss sich an den Debatten, an den gesellschaftlich relevanten Fragen beteiligen. Auf der anderen Seite muss auch die Politik die Kunst als Teil politischer Auseinandersetzung berücksichtigen.

STANDARD: Die Wienwoche unterstützt künstlerisch-aktivistische Netzwerke. Wie sehen Sie Ihre Rolle darin?

Mackuljak: In ihrem fünfjährigen Bestehen hat die Wienwoche das Netzwerk aktivistischer und künstlerischer Gruppen unterstützt und mitentwickelt. Wir haben beschlossen, diese Kontinuitäten zu behalten. Deshalb gibt es auch einige Produktionen im Programm, die schon einmal Teil der Wienwoche waren. Zum Beispiel das Protest Production Collective, das als Kollektiv im Vienna Refugee Movement begann.

Marjanović: Es geht auch darum zu zeigen, dass wir Projekte über einen längeren Zeitraum hinweg unterstützen wollen, auch im Sinne einer nachhaltigen Sichtbarkeit.

Mackuljak: Mit unserem Programm möchten wir verschiedene Communitys ansprechen und verbinden. Communitys, die in einem anderen Setting vielleicht nicht zusammenkämen. Wir wollen Begegnungen und Austausch ermöglichen.

Marjanović: Diese Politik der Verbundenheit und Freundschaft funktioniert auch innerhalb des Festivals, innerhalb der einzelnen Projekte.

STANDARD: Welche neuen Orte macht die Wienwoche zugänglich?

Marjanović: Der Festivalbeitrag "Cantina Corazón" zum Beispiel ist eine wandernde Performance-Bar, die unter anderem in der Bar Replugged stattfindet. Wir haben diesen Ort über die jugoslawische Community kennengelernt. Ein anderer Ort ist das Café Weidinger, wo ein dekoloniales Kartenlesen stattfinden wird. Es ist ein Spiel mit dem Ort und einer Vision der Zukunft.

Mackuljak: Oder das Projekt "Halay City Marathon" von drei Frauen mit armenischem, türkischem und kurdischem Hintergrund. Halay ist ein Gruppentanz, der in ganz Wien getanzt wird – allerdings im Keller. Wir möchten die Leute aus dem Keller rausholen und vor das Museumsquartier bringen, die "Subkultur" sozusagen vor die "Hochkultur" bringen. (ACHTUNG: Terminänderung) Einen anderen Ort wählt der Festivalbeitrag "Anti-Fascist Ballet School", das in der Lugner-City aufgeführt wird.

STANDARD: Viele Festivalbeiträge, setzen sich mit dem Gemisch von Sexismus und Rassismus auseinander.

Marjanović: Die politische Diskussion über die Vermischung von Sexismus und Rassismus ist die Basis für alle Projekte. Das Projekt "#L0V3_H4CK1N6" zum Beispiel fragt danach, welche Zugänge zu diesem Thema in Online-Dating-Plattformen vorkommen. Das ist ein Raum, wo viel Brutalität stattfindet. Als Frau begegnet man hier einem Hardcore-Sexismus. In diesen Foren gibt es keine Reflexion darüber – und keine Bremsen.

Mackuljak: Wer datet wen? Hier kommen zutiefst rassistische Raster zum Tragen.

STANDARD: Gibt es Kooperationen mit anderen Kunst- und Kulturinstitutionen? Findet hier ein Austausch statt, oder wird die Wienwoche als "Nische" gesehen?

Mackuljak: Dieses Jahr ist die Kunsthalle an uns herangetreten. Es gab auch in der Vergangenheit immer wieder Kooperationen, zum Beispiel mit dem Wien-Museum oder mit dem Jüdischen Museum. Es könnte mehr Zusammenarbeit geben.

Marjanović: Wir hoffen, mit unserem Thema diese Fragmentierung zu überwinden. Die Anerkennung der verschiedenen Kämpfe gesellschaftlicher Minderheiten und die Solidarisierung damit sind uns wichtig. Der Kampf der People of Color zum Beispiel. Man kann nicht sagen, dass sei eine Nische.

Mackuljak: Uns ist es wichtig diesen Gruppen, diesen "Nischen" Raum zu geben – zu unterstützen, aufrechtzuerhalten und zu verbinden.

STANDARD: Sie sind bemüht, den Zugang zur Wienwoche allen zu ermöglichen. Auch sind alle Veranstaltungen bei freiem Eintritt zu besuchen. Wie sieht es mit der sozialen Durchmischung des Publikums aus?

Mackuljak: Die Wienwoche hat bereits so etwas wie ein Stammpublikum, das sich aus Menschen unterschiedlichster Hintergründe zusammensetzt. Dieses Jahr fokussieren wir verstärkt die Balkan-Community und haben Pireli für die Eröffnung eingeladen. Er ist ein Hip-Hop-Sänger aus Ex-Jugoslawien, ein Ex-Flüchtling aus Bosnien. Er ist jemand, den wir neu in die Wienwoche eingebracht haben.

Marjanović: Es geht um Vielfalt. Das war unser Gedanke auch bei der Auswahl des Programms. Wir haben Projekte in Flüchtlingsheimen. Das ist nicht die übliche Kunst-Event-Location. Auch nicht das übliche Publikum. Wienwoche ist eine Mischung kultureller, künstlerischer, medialer, aktivistischer Praktiken – eine Vielfalt an Menschen. (Christine Tragler, 16.9.2016)