Wien – Russland ist ein großes, raumgreifendes Land, wahrscheinlich sind die Emotionen der Russen deshalb auch etwas größer und raumgreifender als anderswo. Valery Gergiev war mit dem Mariinsky Orchester und einem Prokofjew-Programm zu Besuch im Wiener Konzerthaus, und es war in Summe eine ziemlich saftige Angelegenheit.

Bei einer Auswahl von fünf Stücken aus den zwei Romeo und Julia-Ballettsuiten op. 64 a und b wurde der russischen Tradition des Gern-noch-ein-bisschen-lauter gehuldigt. Bei der feingliedrigen Symphonie classique ließ der 63-jährige Langzeitchef die Streicher in einer Riesenbesetzung musizieren, man hatte den Eindruck, dass ein Jumbojet ein Air Race für Sportflugzeuge zu absolvieren hatte; zudem tat sich Gergiev bei der Ausarbeitung von Prokofjews altmodischem Eintrittsbillett in die Welt der Symphonie nicht viel Detailarbeit an.

Zum Mittelpunkt des Konzerts wurde aber eh die Interpretation von Prokofjews zweitem Klavierkonzert durch Denis Matsuev. Der Russe war ein vulkanisches Kraftwerk am Klavier, ein Ballermann und Berserker, der mit Biss und Schärfe agierte, sich ins weite, wilde Gefühlsgelände dieses opulenten Werkes grub und wühlte – wie etwa in der gigantischen Kadenz des Kopfsatzes. Aber der 41-Jährige präsentierte sich auch als ein Mann der Gegensätze, der extreme dynamische und klangliche Volten liebt und traumverloren zarte Klangwelten schuf. Seine erste Zugabe, Anatoli Ljadows Petitesse Die Spieldose wurde so zu einem Geschenk der dezenten Art, da hätte es den durchgeballerten dritten Satz von Prokofjews siebter Sonate als zweite Encore nicht mehr gebraucht.

Auch Gergiev und das Mariinsky Orchester gaben ein Stück zu: Die Ouvertüre von Verdis La forza del destino wurde zu deren bewegendstem, farbigstem Musikakt dieses Abends, ein Stück, mit dem der traditionsreiche Klangkörper aus St. Petersburg daran erinnerte, womit er sich denn eigentlich sonst so Abend für Abend beschäftigt: mit großer Oper. Jubel! (end, 19.9.2016)