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Die 13-Milliarden-Euro-Steuernachzahlung für Apple ist ein Symbol für Ungleichheit, wenngleich auf Unternehmensebene: Multinationale Konzerne können es sich richten, kleinere Unternehmen müssen Gewinne voll versteuern.

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Andreas Peichl: "Frühkindliche Bildung bis zum Alter von sechs Jahren ist ausschlaggebend für späteren Erfolg."

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STANDARD: Haben Sie die Panama Papers überrascht?

Peichl: Eigentlich nicht. Wir wissen, dass Steuervermeidung ein großes Thema ist und sich Konzerne und vermögende Personen eine ganze Menge einfallen lassen. Das Phänomen Steueroasen ist weitverbreitet.

STANDARD: Warum werden diese Oasen nicht trockengelegt?

Peichl: Wenn Regierungen das wollten, könnte man eine Quellenbesteuerung des Kapitals einführen oder eine Transaktionssteuer. Ich glaube allerdings, dass zur Durchsetzung der politische Wille fehlt. Die Arbeit der Finanzlobby ist dabei nicht zu unterschätzen. Man sollte diese Schlupflöcher zur Steuervermeidung schließen – auch für multinationale Konzerne. Bei Unternehmen stellt sich zusätzlich die Frage, ob es noch fairer Wettbewerb ist, wenn eines Steuern zahlen muss und das andere nicht.

STANDARD: Ist die 13-Milliarden-Euro-Steuernachzahlung für Apple ein Schritt in die richtige Richtung?

Peichl: Die Steuernachzahlung ist gerechtfertigt, Apple hat einen unrechtmäßigen Vorteil erhalten. Inwieweit die Nachzahlung zur Reduktion von Ungleichheit führt, wird davon abhängen, wie die zusätzlichen Einnahmen verwendet werden.

STANDARD: Verhält sich Irland unsolidarisch gegenüber den anderen EU-Staaten, wenn es gegen die Entscheidung beruft?

Peichl: Ja, absolut. Aber das ist nichts Neues. Irland hat sich schon vorher unsolidarisch verhalten, als es Apple diese Subventionen bzw. Schlupflöcher gewährt hat.

STANDARD: Ist Steuerwettbewerb schlecht?

Peichl: In gewissem Rahmen ist er sinnvoll. Aber die Staaten müssen aufpassen, dass sie nicht erpressbar werden und sich im Verhältnis zu anderen Ländern gegenseitig kaputtkonkurrieren, sodass sie immer weniger staatliche Leistungen anbieten können. Ohne Wettbewerb hätte man zu hohe Steuern und es gäbe mehr Verschwendung aufseiten des Staates.

STANDARD: Wann wird Ungleichheit zum Problem in einer Gesellschaft?

Peichl: Ein Problem gibt es, wenn die Ursachen steigender Ungleichheit als unfair wahrgenommen werden. Etwa weil der Arbeitsmarkt liberalisiert wurde. Dann profitieren einige Reiche, und Otto Normalverbraucher hat keine Reallohnzuwächse mehr.

STANDARD: Diese Entwicklung erleben wir seit vielen Jahren. Eine Folge der Globalisierung?

Peichl: Das hat zwei Ursachen, die Globalisierung und den technischen Fortschritt. Manuelle Tätigkeiten kann man in Niedriglohnländern billiger durchführen, deshalb gibt es Verlagerungen. Gleichzeitig fallen Routinejobs weg, die in der Mitte der Einkommensverteilung liegen – weil alles, was Routine ist, ein Computer oder Roboter machen kann. Es gibt eine Bewegung aus der Mitte der Einkommensverteilung an die Ränder. Das bringt die Löhne am unteren Ende der Einkommensskala unter Druck.

STANDARD: Ist es nicht erstaunlich, dass es in Demokratien Entwicklungen gibt, die der Mehrheit schaden und von denen nur ein kleiner Teil der Bevölkerung profitiert?

Peichl: Die Wahlergebnisse in letzter Zeit zeigen doch, dass sich langsam etwas ändert. Auch in Österreich sind bei der Präsidentschaftsstichwahl weder SPÖ noch ÖVP vertreten.

STANDARD: Die USA gelten wohl zu Unrecht als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Auf welche Staaten trifft das eher zu?

Peichl: Die Chance, zum Millionär zu werden, ist in Österreich und Deutschland größer als in den USA und noch größer in den skandinavischen Ländern. Frühkindliche Bildung bis zum Alter von sechs Jahren ist ausschlaggebend für späteren Erfolg. Das haben wir in einer Studie am ZEW gezeigt.

STANDARD: Geben die Skandinavier mehr für Bildung aus?

Peichl: Ja. Die Steuern sind in Skandinavien etwas höher und werden in den Bildungsbereich und Kinderbetreuung investiert. Das ist gut investiert mit Blick auf die Chancengerechtigkeit.

STANDARD: Um die Rolle des Elternhauses zu verringern?

Peichl: In einem Akademikerhaushalt und einem Haushalt ohne Schulabschluss ist unabhängig vom genetischen Einfluss die Interaktion auf anderem Niveau. Es werden unterschiedliche Dinge weitergegeben. Klischeehaft und stark vereinfachend gesagt: Im Akademikerhaushalt wird klassische Musik gehört, in anderen Trash-TV geschaut.

STANDARD: Wir haben seit Jahrzehnten steigende Ungleichheit. Wird es in zehn, zwanzig Jahren eine gerechtere Welt geben?

Peichl: Ich denke, dass die Trends, die zur Ungleichheit geführt haben, weitergehen werden. Auch mit unserer demografischen Entwicklung sind die Trends zu Ungleichheit weiter da. Die Politik muss gegensteuern. Es ist besser einzugreifen, bevor Ungleichheit entsteht. Aber ich sehe bei uns keine Debatte darüber, die frühkindliche Bildung auszubauen. (Alexander Hahn, 21.9.2016)