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Bärtierchen widerstehen dem Vakuum des Weltraums ebenso wie den Tiefen des Ozeans. Möglicherweise hilft den Winzlingen ein Eiweiß, diese Extreme zu überleben.

Foto: AP / Bob Goldstein & Vicki Madden

Ramazzottius varieornatus gilt als einer der widerstandsfähigsten Vertreter unter den Bärtierchen. Im Experiment schützte dessen Protein Dsup die DNA menschlicher Nierenzellen weitgehend vor den schädlichen Einflüssen durch Röntgenstrahlen.

Foto: APA/AFP/NATURE PUBLISHING GROUP

Tokio/Wien – Bärtierchen sind erstaunliche Lebewesen, gleichsam die unkaputtbaren Superhelden der Tierwelt: Kaum größer als ein Sandkorn, haben es die achtbeinigen, tonnenförmigen Kreaturen geschafft, in praktisch allen Biotopen der Erde zu gedeihen. Biologen entdeckten sie in tropischen Dschungeln ebenso wie in Regenpfützen der gemäßigten Zonen, in den lichtlosen Regionen der Tiefsee oder in eisigen Einöden der Antarktis. Selbst in den Todeszonen des Himalaja in mehr als 6.000 Metern Seehöhe haben es sich die winzigen Tausendsassas gemütlich gemacht.

Mehr noch: Experimente zeigten, dass sie wesentlich mehr aushalten, als irgendeine Umgebung auf der Erde zu bieten hat. Bärtierchen verkraften den sechsfachen Druck, der am tiefsten Punkt der Erde im 11.000 Meter tiefen Marianengraben herrscht. Ja, selbst der lebensfeindlichsten Umgebung, die man sich vorstellen kann, ist das Bärtierchen gewachsen: 2007 wurden Tausende von ihnen in den Orbit geschossen und der tödlichen Strahlung im Vakuum des Weltraums ausgesetzt. Nicht nur, dass die meisten unversehrt zurückgekehrt sind, viele Weibchen unter ihnen legten Eier, aus denen gesunde Nachkommen schlüpften.

Video: Ist das Bärtierchen Ramazzottius varieornatus mit widrigen Umweltbedingungen, etwa Trockenheit, konfrontiert, schrumpft das Tier zusammen und verfällt in eine Art Ruhestadium, in dem es fast jegliche Körperfunktionen einstellt. Ein Tropfen Wasser genügt jedoch, um es wieder zum Leben zu erwecken.
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Winzige Außerirdische?

Wie es den Bärtierchen gelingt, diese extremsten Bedingungen zu überleben, ist nach wie vor unklar – weshalb es einige Forscher für möglich halten, dass diese Wesen sogar außerirdischen Ursprungs sein könnten. Ihr Argument: Eine Lebensform, die selbst die harte Strahlung des Alls und Temperaturen von -270 Grad Celsius schadlos übersteht, muss diese Fähigkeit evolutionär erworben haben, also unter Bedingungen, die nur im All zu finden sind.

Das sei Mumpitz, meinten andere Forscher und suchten im Genom der Bärtierchen nach Hinweisen auf die wahre Ursache ihrer Unzerstörbarkeit. 2015 glaubten Wissenschafter um Bob Goldstein von der University of North Carolina, das Geheimnis gelüftet zu haben. Laut ihren DNA-Analysen beruht die Widerstandsfähigkeit der Spezies Hypsibius dujardini auf Genen, die sie von anderen Organismen gleichsam gestohlen haben. Mehr als 17 Prozent ihres Genoms sollen von Bakterien, Pflanzen oder Pilzen stammen. Nur wenige Monate später konnten allerdings Kollegen von der University of Edinburgh diesen Befund widerlegen. Der vermeintliche horizontale Gentransfer beruhte offenbar großteils auf Kontamination der Proben.

Damit stellt sich erneut die Frage: Was macht die Bärtierchen so robust? Möglicherweise sind nun japanische Wissenschafter diesem Rätsel durch eine weitere Genomanalyse auf die Spur gekommen. Ein Team um Takekazu Kunieda von der University of Tokyo hat die DNA der Spezies Ramazzottius variornatus, eine der widerstandsfähigsten Bärtierchenarten, sequenziert und ist dabei auf ein Protein gestoßen, das die Erbsubstanz weitgehend vor schädlichen Umwelteinflüssen zu schützen vermag und bisher von keinem anderen Lebewesen bekannt ist.

Protein schützt vor Strahlung

Die Forscher isolierten das auf "Damage suppressor", kurz Dsup, getaufte Eiweiß und manipulierten menschliche Nierenzellen dahingehend, es zu produzieren. Im Experiment war Dsup in der Lage, die Zellen insbesondere vor den zerstörerischen Einflüssen von Röntgenstrahlung weitgehend zu bewahren, indem es sich an den DNA-Strang anlagerte.

"Diese Ergebnisse überraschten uns außerordentlich", erklärte Takuma Hashimoto, Koautor der im Fachjournal "Nature Communications" erschienen Studie. "Besonders bemerkenswert ist, dass ein einzelnes Gen ausreicht, um die Strahlungstoleranz einer Kultur menschlicher Zellen bedeutend zu verbessern."

Dieses Protein mag vielleicht nur einen Teil der Polyextremophilie von Bärtierchen zu erklären, für den Menschen könnte es aber von großer Bedeutung sein, glaubt Kunieda: "Schaffen wir es, dieses besondere Gen in unser Erbgut zu integrieren, könnte es in ferner Zukunft Raumfahrern oder Arbeitern in Kernkraftwerken enorm nützlich sein." (tberg, 21.9.2016)