Wien – Langsam und vorsichtig geht Hermann Nitsch abseits des Eröffnungstrubels am Dienstagabend eine düstere Nebenstiege hinunter. Als jemand ihm helfen will, lehnt er entschieden ab.

Bei der Kunstmesse Parallel Vienna ist auch die Nitsch Foundation in einer der vielen einstigen Amtsstuben der Alten Post auf der Dominikanerbastei vertreten.

Eine von 400 Künstlerinnen und Künstlern bei der Parallel Vienna ist Elina Dzelme. Still aus ihrem Kurzfilm "Egomorphosis".
Foto: Daina Geidmane

Rapide aufwärts ging's im Human Elevator der Gruppe Gelitin-schon-wieder-Gelatin, die ein über mehrere Stockwerke reichendes Gerüst gebaut hat.

Die Performance: Auf übereinanderliegenden Plattformen nahmen kräftige Leute Aufstellung. Sie hoben und zogen, von Applaus begleitet, Besucherinnen und Besucher durch eine Aussparung in der Mitte nach oben.

"Es ist schön, gehoben und gehalten zu werden", schreibt Gelatin dazu. Und: "Der Lift schwitzt stark." Philipp Quehenberger spielte live die Aufzugsmusik.

Insgesamt sind bei der vierten Parallel Vienna in den Labyrinthen von drei Etagen Arbeiten von mehr als 400 österreichischen und internationalen Kunstschaffenden zu sehen. Präsentiert werden sie von 60 Galerien und anderen Institutionen. Zudem gibt es 42 Künstlerräume und Statements von 15 Kuratierenden.

Im zweiten Stock hat Elina Dzelme (30) aus Riga das unheimlichste Gelass gestaltet: eine enge Black Box für ihren Kurzfilm Egomorphosis (2016), in dem nackte Frauenkörper von Kind- zu Erwachsenen- und Greisenstadien mutieren. Milch, Blut und schwarze Galle rinnen, begleitet von gedämpftem Lärm, vor einer schwarzen Textur. Einen Stock tiefer inszeniert Ona B. unter dem Titel Dressed to Kill / Velvet Revolution (1989 / 2016) ein rotes Kleid aus 130 Metern Fahnenstoff, der aus dem einstigen Prager Armeelager der Sowjets in Prag stammt.

Dagegen wirkt Alfredo Barsuglias Acrylbild Unpredictable incidents on a bright morning (2016) mit gestürzter Frau und Text sehr zurückhaltend – was als Kontrast zur Betriebsamkeit rundum den Blick fesselt. Und zwar nicht weniger als der pinke Irrsinn in Florin Kompatschers großformatigem Öl-Trip purple paranoia (2007).

Die Parallel Vienna zeigt so ziemlich alles, was es gibt, Kraut und Rüben im besten Sinn. Zartestes und Patziges, von Assemblage über Fotografie (da zum Beispiel ausgesucht fein die Serie zu Fragmente einer Sprache der Liebe von Anaïs Horn und Tobias Zielony), Installation, Malerei, Performance, Skulptur bis zur Zeichnung. Es regieren breites Spektrum, Vielfalt und der Wille zu maximal möglicher Unbefangenheit.

Beim Besuch wechseln Betrachters Gefühle von anfänglicher Verzweiflung über diese Unübersichtlichkeit über kontemplative Gelassenheit bis hin zu luzide wirkender Klarheit.

Da passiert sozusagen eine "rezeptive Egomorphose", die etwa Nitschs sonnengelben Malerkittel als einen postaktionistischen Triumph fantasiert. Oder die "Alte Post" zum kommentarhaften Kalauer mit "Moderne" zusammenpickt. Weil's lustig ist.

Das Irren durch die Gänge, die vielen Abzweigungen, die Wiederbegegnungen machen ein Labyrinth der Gegenwartskultur erfahrbar. Und dieses erzeugt die Einbildung, dass man durch eine gigantische Performance wandert.

Die Parallel Vienna zeigt sich als Abweichung von Museum und Messe. Das ist es vielleicht auch, was am Auftaktabend so gut wie die gesamte Wiener Kunstszene angelockt hat. (Helmut Ploebst, 21.9.2016)