Das Schwingen der Peitsche von ungarischen Pferdehirten hatte einst eine praktische Bedeutung: Drohte ein Angriff in der gut einsichtigen Puszta, sollten sich die Pferde flach machen auf dem Boden.

Foto: Monika Hippe

Der Fahrtwind bläst kühl über die Haut, während der Jeep durch die ungarische Steppe rumpelt. Die Puszta ist beinah so karg wie viele afrikanische Wüsten: kein Baum, kein Busch in Sicht. Kaum etwas in dieser Landschaft vermag die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Hier auf Tierbeobachtung zu gehen, ist wohl die denkbar unaufgeregteste Antithese zu Ulrich Seidls aktuellem Film "Safari".

Je länger man in Richtung des Horizonts schaut, desto eher verschwimmt er. Irgendwann meint man, doch Bäume über dem Boden schweben zu sehen. Das Phänomen der Fata Morgana ist auch 200 Kilometer östlich von Budapest keine Seltenheit. "Die dort hinten sind aber echt", sagt Biologin Kristin Brabender und zeigt auf eine Reihe schwarzer Flecken im trockenen Gras. Es sind rückgezüchtete Auerochsen, jeder Einzelne mit einem Hals so dick wie fünf Männeroberschenkel. Vor einiger Zeit hat Brabender so ein Exemplar in ihrer Garage beherbergt.

Gedrungen mit Irokesenmähne

Die Biologin bemuttert in der Puszta eine ganze Reihe verwaister Jungtiere: Aus dem Nest gefallene Storchenkinder, Steinkäuze und zwei verlassene Rehkitze hat sie neben dem jungen Auerochsen schon umsorgt. "Als er aber anfing von innen gegen die Garagentür zu donnern, war es Zeit für den Umzug in die Wildnis", sagt sie.

Das Herz der Biologin schlägt aber für die seltenen Przewalski-Pferde, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Urstiere grasen. Sie hat sich intensiv mit den Wildpferden beschäftigt und gleich nach dem Studium die Leitung des Wildtierparks Hortobágy und des Wildpferdereservats Pentezug übernommen. Mit ihrem gedrungenen Körperbau und der Irokesenmähne könnte man die Przewalskis fast für Zebras halten, nur fehlen die Streifen.

Rückzug in den Zoo

Einst besiedelten die Tiere die gesamte eurasische Steppe. Weil der Mensch die Weideflächen für sein Vieh immer mehr ausdehnte, zogen sie sich in immer futter- und wasserärmere Gebiete zurück. In den 1950er-Jahren galt die Art beinahe als ausgestorben, nur durch Züchtungen in Zoos konnte sie gerettet werden. Mit 350 Tieren beherbergt das Reservat Pentezug nun die größte Herde von Przewalski-Pferden weltweit. Es umfasst nur einen kleinen Landstrich in der Puszta – Europas größter natürlicher, zusammenhängender Grasheide. Ein Teil davon ist durch Ungarns ältesten Nationalpark Hortobágy geschützt, geschossen wird bei den Safaris freilich nicht, sondern nur geschaut.

Eine Fata Morgana weiter galoppieren plötzlich drei Pferdehirten herbei und wedeln mit ihren Kreiselpeitschen. In kriegerischen Zeiten hat man die Tiere so gelehrt, sich auf Befehl hinzulegen, damit Pferd und Reiter von weitem nicht gesehen werden. Dann stellte man sich auf deren Bauch und knallte mit der Peitsche, damit die Tiere lernen, nicht vor Schüssen zu erschrecken.

Akrobatische Bewerbe

Die drei Hirten üben jetzt schon für das Pfingstfest, das in dieser Gegend mit Reitertagen und Hirtentreffen begangen wird. Veranstaltungen, die tausende Besucher anziehen, weil noch immer die traditionellen akrobatischen Bewerbe ausgetragen werden. Die sogenannte ungarische Post gilt dabei als Königsklasse: Ein Mann balanciert stehend auf einem galoppierenden Fünfergespann.

Früher durfte der Sieger des Bewerbs ein Jahr lang kostenfrei in den Dorfschenken essen und trinken. Daraus entstand auch der in Ungarn bis heute gebräuchliche Begriff des "Pfingstkönigreichs". Er bezeichnet eine zwar einträgliche Herrschaft, die aber meist nur von kurzer Dauer ist. (Monika Hippe, 24.9.2016)