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"Summer's So Short" heißt der Song von The Leather Nun, jetzt begräbt das Herbstlaub alles unter sich.

Foto: AP / Martin Meissner

Das deprimierendste Erlebnis seit langem war, als ich kürzlich bei Saturn war, ich bildete mir diffus ein, ich bräuchte noch eine CD, bevor sie komplett verschwinden, was ja schon ein Witz an sich ist, vielleicht Mitleid mit Dingen, meine kleine animistische Ader für das toteste aller toten Tonträger, ich suchte halbherzig nach irgendwas, das Ende des Sommers akustisch Begleitendes, die CD würde ich dann sowieso nicht hören, fand natürlich nichts, unfassbar wenige Platten, die Regale so erschütternd zerrupft wie im Ostblock früher die Regale mit den eingedosten Pfirsichen, ich bekam Mitleid, ich hätte auch etwas kaufen wollen, dachte aber, nein, Musik, das geht doch nicht mehr, das ist doch peinlich, bin dann zu den DVDs, während über die Saalbeschallung von The Cure Just like heaven lief, diese melancholische Grundstimmung, gegen die ich nichts habe, obwohl das Muster bei Cure ja immer das gleiche ist, "Show me, show me, show me how you do that trick, the one that makes me scream, she said", und ich wurde gleich noch melancholischer, auch wenn und auch gerade, weil natürlich hier Masturbation oder Sex generell gemeint ist, Tätigkeiten, die ich inzwischen abgelegt hatte, die sollen gerne überall und von jedem ohne mich und ohne jemandem Schaden zuzufügen, stattfinden, trotzdem, dachte ich, kann man eigentlich auf alles anwenden, wie geht der Trick, dass alle alles kaputtmachen und alles kaputtgeht, dass man schreien könnte?

Und ich erinnerte mich an das Lied eines Freundes, in dem er singt: "Für eine bessere Welt, in der die Frauen die Kriege alleine führen und die Männer gar nichts mehr machen müssen." Aber solche Musik ist in physischer Form komplett verschwunden, sie hat aufgegeben, sie hat verloren, sie ist verpufft. Also dann rüber zu den DVDs, vielleicht spricht mich dort ja was an, aber auch da nichts, was ich in die Hand nehmen wollte, so resignativ standen die Filme da in den kariösen Regalen, in dünnen, wertlosen Hüllen, die so billig aussehen, dass sie vermutlich bei der leisesten Berührung zu Staub zerfallen würden, und die zu schwach sind, um zu schreien: "Kauf mich, kauf mich", gut, dann zu den Serien, vielleicht haben sie ja meine Lieblingsserie Das Model und der Schnüffler, die Serie, mit der die Karriere von Bruce Willis begann und die von Cybill Shepherds endete, beide vergöttere ich, gab's nicht, dann aber Unser Lehrer Doktor Specht – Die komplette Serie in die Hand genommen, obszön dicker Schuber, soll ich?

Dann mutlos wieder zurück zu den anderen kraftlosen DVDs, und beim Rausgehen kam weiter The Cure The Upstairs Room, sie wollten wohl eine Best-of-Cure-CD verkaufen, die möglicherweise gar nicht da war, aber wem? Das Lied auch sehr geliebt, im heißen Sommer 1985 mit jemandem, den man mal sehr mochte und zu dem nicht mal mehr ein blasses Bild in der Erinnerungsstube existiert, in einem knackenden, gelben Holzhäuschen getanzt, inmitten eines knistrigen Kieferwaldes, damals wie heute bei der Zeile "The upstairs room is cool and bright. We can go up there in summer. And dance all night", gedacht, das stimmt doch nicht, oben unterm Dach ist es noch am heißesten, im Keller wäre es doch schön kühl, aber auch keine Lust mehr zur Songexegese.

Man verlässt zermürbt das Kaufhaus, man fühlt sich so, als ob man sich irgendwo vergessen hatte, an einer Bushaltestelle stehen gelassen, an einer kaum befahrenen Straße in einem heißen Kiefernwald, man war sich selbst abhandengekommen. Dieser verdammte Sommer, das ist ja immer so, einen verregneten kann man so leicht ertragen, verregnete Sommer sind viel romantischer, leere Badeanstalten in Juni und modriges Laub bereits im August, heiße Sommer warten doch ständig auf Explosionen, drückende lauernde Ouvertüre für etwas, was dann nur in Tränen endet, die quälenden Versprechungen vor der Katastrophe, weswegen ja auch alle Sommerlieder so melancholisch sind, kein einziges Sommerlied ist fröhlich, weil im Sommer das Ende, der Abschied, der Tod bereits eingeschrieben ist:

The Undertones, "Here Comes the Summer"
The Leather Nun, "Summer's So Short"
Blue Cheer, "Summertime Blues"
J. Richman, "That Summer Feeling" Chad & Jeremy, "A Summer Song"
Karl Hammel jr, "Summer Souvenirs"
ABBA, "Our Last Summer"
Danzig, "Dirty Black Summer"
Peter Maffay, "Und es war Sommer"
Saal 2, "Strandgefühle"

Und selbst Heißer Sommer aus dem gleichnamigen DDR-Propagandafilm, Musik vom Tanzorchester des Berliner Rundfunks unter der Leitung von Günther Gollasch hat diese Wehmut, die hedonistische Aufbruchsnaivität ist ja nur eine scheinbare, kaum hat er angefangen, ist er auch schon wieder vorbei, Ferien aus, Liebe enttäuscht, man hat die ganze Zeit Sand im Schuh und in jeder Körperfalte.

Irgendwo im Süden

Der Sommer ist die dramatischste Jahreszeit, mir auch deshalb die liebste, weil sie so pathetisch ist. Ihr müsst schmoren in eurer Sehnsucht, fest wird gar nichts, alles nur noch flüssiger, wenn man das weiß, kann man den Sommer genießen, sich verbrutzeln lassen, bis das Gehirn aus dem Kopf suppt und die Hautflügler der Nacht einem nicht nur das Blut, sondern auch noch die Seele aus dem Kadaver lutschen. Herrlicher Zustand. Wenn man klug ist, verbringt man ihn inmitten wilder Müllkippen, um die geprügelte Hyänen mit eingezogenem Schwanz schnüren, auf der Suche nach Aas, irgendwo im Süden, in Albanien oder Sizilien, aber im Norden ist er auch gut, in jedem finnischen Gesicht sieht man die physiognomische Todespanik im Sommer, die aber mit der kurzen, nur wenige Tage dauernden Herbstunterbrechung im Winter wieder verschwindet, dann blühen sie auf, das ist ihre Zeit, die der widerstandsfähigen Finnen, im Sommer schmilzt dieser Widerstand dahin, die Hoffnung kapituliert bereits im, ebenfalls nur ein paar Tage währenden, Frühling.

Ich muss aufhören, mir Dinge zusammenzukonstruieren, die kein Mensch nachvollziehen kann, die nur nach irgendwas klingen, und dann auch noch diese verdammten Musiktitellisten, Nick Hornby hat das gekonnt gemacht, und damit ist das doch erledigt, und vor allem hat er das nachvollziehbar gemacht, Titel, die jeder kennt und bei denen jeder das Lied dazu im Ohr hat, was soll denn das? Man kann das nicht machen, Worte klingen zwar, aber Worte, die zu einer distinktiven Musik führen sollen, klappern eben nur, sind nur Füllmasse, vorsätzlich sich verweigernde Wegweiser, die ins Nichts führen, prätentiös angeberisches Zeug, das mehr mit Selbstbefriedigung als mit Aufklärung zu tun hat, wenn man der Gesellschaft nicht wenigstens ein bisschen entgegen kommt, dann ist man sie gleich wieder los, aber andererseits, das wollte ich ja auch, mich kann ja sowieso keiner verstehen.

Die Rolle, die ich bisher gespielt habe, war ja, eben, nur eine Rolle, das war nicht ich, ich hab mich lange genug verbogen, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen, aber zu welchem Preis, immer diese Kompromisse, all das nachplappern, was sowieso bekannt ist, es geht nicht mehr, ich könnte nur noch unter Schmerzen Teil der Gesellschaft sein, und auf der anderen Seite bin ich aber auch zu dumm, zu schwächlich, ICH zu sein, ein gefestigter Charakter, dem man nicht die Butter vom Brot nehmen kann, nein, ich rutsche grade auf dieser Butter in eine Ritze zwischen beiden Positionen, vielleicht könnte mich die Gesellschaft retten, aber von der will ich mich nicht wirklich retten lassen, auch nicht von dem Teil, der ich selbst bin, also verschwinde ich. Vergrabe mich in Listenordnungen, erstelle Listen nur für mich, die etwas erklären, die Klarheit in eine Sache bringen, deren Unklarheit niemandem bisher aufgefallen ist, weil es sie gar nicht gibt, Lösungen für imaginäre Probleme, kein Mensch hat was davon, und weil ich das weiß, begleiten sie mich umso mehr ins Verschwinden in die unüberwindliche Einsamkeit eines endlichen Sommers. (Tex Rubinowitz, Album, 24.9.2016)