Wirbt um Verständnis für Politiker: Sedmak.

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Wien – Den Vorwurf, dass Politiker wegen irgendwelcher Privilegien in die Politik gingen, kann Clemens Sedmak im Gespräch mit dem STANDARD nicht nachvollziehen. Er gesteht allen ihre hehren Motive zu.

Und das nicht nur mit der Sympathie des weltenthobenen Philosophen, sondern auf Basis einer Studie, für die mit 16 Politikern verschiedener Parteien und verschiedener politischer Ausrichtung ausführliche Gespräche (unter Zusicherung der Anonymität) geführt wurden.

Traurige Politiker

"Sehr häufig wird Trauer darüber geäußert, dass man nicht das erreicht hat, was man sich eigentlich vorgenommen hatte", beschreibt Sedmak die Stimmungslage der Politiker – und skizziert, was Amtsträgern Stress bereitet: Ein Politiker oder eine Politikerin ist damit konfrontiert, dass einerseits erwartet wird, dass jedes Problem überblickt wird und eine umsetzbare Lösung geboten wird – und dass die Wählerinnen und Wähler gleichzeitig erwarten, dass ihre Repräsentanten Menschen wie du und ich sind. Nicht abgehoben, aber fehlerfrei, mit tadellosem Privatleben.

Keine Privatsphäre

Diese Erwartung belastet auch alles Private: Unterschätzt würde, dass Politiker ihre Familie und ihre Privatsphäre schützen müssen – während gleichzeitig die Leute den Politiker "privat" erleben wollen: "Er muss 'einer von uns sein' und trotzdem auf einem Podest stehen." Politiker reagierten darauf mit totaler Abschottung – viele geben dann auch zu, wenig "geerdet" zu sein. Sedmak gibt fünf Ratschläge zur Verbesserung der Situation der aktiven Politiker:

  • Erdung: Schon Cicero hat gewusst, dass ein Amtsträger jemanden braucht, der aufrichtig die Wahrheit sagt. Aber Politiker täten sich sehr schwer, vertrauenswürdige Freunde zu finden.
  • Amtsverständnis: Macht – und sei es nur die bescheidene Macht eines Kommunalpolitikers – sei immer nur eine geliehene Macht. Es fällt Politikern sehr schwer, die eigene Person vom Amt zu trennen und Sympathie- oder Antipathiebekundungen professionell, aber nicht persönlich zu nehmen.
  • Grundsätze: Politik besteht nun einmal aus Kompromissen. Dennoch müsse man einen notwendigen von einem faulen Kompromiss unterscheiden können.
  • Aufhören: Jeder Politiker müsse für sich selbst festlegen, wann es genug ist – und dann auch wirklich gehen.
  • Limitierung: Das Aufhören würde natürlich erleichtert, wenn man nach zwei Perioden ausscheiden müsste – gegebenenfalls in eine andere politische Position.

Das sei aber ein schwer lösbares Problem – nicht nur für Bundeskanzler, die sich nach ihrem Rücktritt in einem Lobbyistenjob wiederfinden, der ihnen zudem geneidet werde: "Wenn du 25 Jahre Bürgermeister warst und nicht mehr gewählt wirst – was machst du dann?" Politiker müssten sich eine Exitstrategie überlegen – wenn sie das aber tun, würden sie genau dafür angefeindet.

Überhaupt lebten Politiker in einer dreifachen Überforderung:

  • physisch: Fast alle schlafen zu wenig, bewegen sich zu wenig, aber essen zu viel.
  • sozial: Ständig will jemand etwas, aber man kann beim besten Willen nicht alle herangetragenen Anliegen befriedigen.
  • sachlich: Kein Politiker überblickt seinen Zuständigkeitsbereich vollständig – und muss ständig fürchten, bei irgendeinem Detail auf dem falschen Fuß erwischt zu werden.

Mit seinem Buch "Mensch bleiben in der Politik" (Böhlau-Verlag) will Sedmak dennoch Mut machen, sich zu engagieren. (Conrad Seidl, 27.9.2016)