Ein irakischer Soldat am 23. September in Sharqat südlich von Mossul nach der Vertreibung der Milizen des "Islamischen Staats". Die Offensive auf Mossul könnte bald beginnen, heißt es.

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Bagdad/Wien – "Ziemlich bald" werde die Offensive auf Mossul beginnen, die zweitgrößte irakische Stadt, die seit Juni 2014 unter der Kontrolle des "Islamischen Staats" (IS) ist, hört man aus US-Militärkreisen. Vorbereitungsoperationen in der Umgebung haben bereits begonnen, die irakische Armee konnte vor kurzem die Stadt Sharqat einnehmen, einen strategisch wichtigen Punkt auf dem Weg von Bagdad nach Mossul. Auf dem Luftwaffenstützpunkt Qayyara – einst Saddam Airbase – haben die USA ihre Kräfte aufgestockt, um ihn zur Angriffsbasis auszubauen. Es sind nun insgesamt an die 5.000 US-Soldaten im Irak, offiziell "Berater", die sich jedoch im Zentrum des militärischen Geschehens aufhalten.

Es ist eine bunte Ansammlung von Kräften, die den IS aus seiner "Hauptstadt" Mossul vertreiben und dem von Abu Bakr al-Bagdadi ausgerufenen "Kalifat" ein Ende zumindest im Irak bereiten sollen: irakische Armee, US-Spezialkommandos, kurdische Peschmerga, sunnitische und schiitische Stammesmilizen, die teilweise vom Iran unterstützt werden.

Abadi ist schwach

Die Frage ist nicht nur, wie sie sich bei der Offensive zueinander verhalten, sondern vor allem, was sie nach der eventuellen Befreiung von Mossul für Aufgaben haben werden. Premier Haidar al-Abadi betonte verschiedentlich, dass nur die irakische Armee und sunnitisch-arabische Stammesmilizen in das Stadtgebiet vordringen sollen, um die Bevölkerung von Mossul nicht zu verstören: Aber Abadi ist schwach.

Die irakische Armee, die 2014 panisch vor dem herannahenden IS floh und sich erst wieder mühsam regruppiert, kämpft mit ihrer Überdehnung: Wenn sie Soldaten aus jenen Gebieten in der Provinz Anbar, wo der IS vertrieben wurde, abzieht, öffnet sie ihm wieder Rückzugsgebiete. Ohne die kurdischen Peschmerga, die in den vergangenen Monaten systematisch auf Mossul vorgerückt sind, hätte die Armee keine Chance. Und die schiitischen Milizen, die politisch stärker werden – und durch Expremier Nuri al-Maliki am Sturz Abadis arbeiten –, werden auf ihre Rolle in Mossul nicht verzichten.

"Oktober-Überraschung"

Dass die Mossul-Offensive die vielzitierte "Oktober-Überraschung" des scheidenden US-Präsidenten wird, könnte zwar vom Datum passen, aber eher nicht von der Substanz. Niemand rechnet damit, dass Mossul so schnell fällt – und damit der Obama-Administration ein Erfolg beschert wird, der Hillary Clinton bei den Wahlen zugutekommen würde. Die derzeitigen ständigen Ankündigungen des bevorstehenden Angriffs sind auch gewiss Teil einer psychologischen Kriegsführung. Vermehrt ist zu beobachten, dass der IS große Schlachten scheut und sich vorher zurückzieht.

Aber der IS könnte noch einiges auf Lager haben: außer Selbstmordattentaten überall und Sprengfallen in Mossul auch noch rudimentäre chemische Waffen. Nach einem Raketenangriff bei Qayyara konnten Senfgasspuren festgestellt werden, die Substanz war jedoch nicht in militärisch relevanten Dosen vorhanden. Aber der IS betreibt laut US-Armee Anlagen, in denen er versucht, C-Waffen herzustellen. Es wird besser sein, ihn zu stoppen, bevor er es beherrscht.

Kein Geld für die Flüchtlinge

Ein anderer besorgniserregender Punkt ist die humanitäre Seite: Bei der Offensive auf Falluja war man unzureichend auf die Flüchtlinge aus der Stadt vorbereitet – die generell niemand haben wollte, weil befürchtet wurde, dass sie vom IS infiltriert sind. In Mossul wird es nicht anders sein. Die Kurdengebiete sind außerdem am Ende ihres Aufnahmevermögens. Die Uno hat versucht, die laut Kalkulation nötigen 250 Millionen Euro zur Versorgung der zu erwartenden Mossul-Flüchtlinge durch Spendenaufrufe an die Mitgliedstaaten zu bekommen: Geworden sind es 66 Millionen.

Zu Wochenbeginn hieß es, der Präsident der Kurdischen Regionalregierung in Erbil, Massud Barzani, werde in Kürze in Bagdad erwartet, zu letzten kurdisch-arabischen Koordinationsgesprächen zur Mossul-Offensive. Offensichtlich sind beide Seiten entschlossen, das Störfeuer des irakischen Parlaments, das vorige Woche den kurdischen Finanzminister Hoshyar Zebari – einen Parteigänger und Verwandten Barzanis – gefeuert hat, zu ignorieren.

Barzani selbst bemüht sich, nachdem auch Kurden in Bagdad gegen Zebari gestimmt hatten, um die innerkurdische Versöhnung. Das seit einem Jahr gelähmte Parlament in Erbil soll wieder seine Arbeit aufnehmen. Als Vermittler hat sich der türkisch-kurdische Politiker Selahattin Demirtaş (HDP) eingeschaltet, sein Besuch im nun von den Kurden kontrollierten, aber zwischen Arabern, Kurden und Turkmenen umstrittenen Kirkuk rief prompt Kritik hervor. (Gudrun Harrer, 28.9.2016)