Die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek schrieb das Stück "Kein Licht" unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima. Es ist von Erfahrungen der Zersplitterung und Zerstörung geprägt. Analog zum 11. 9. 2001, wird in den Kulturwissenschaften bei der japanischen Katastrophe von "3/11" gesprochen.

Foto: Takuya Matsumi Kyoto Art Theater Shunjuza

Wien – Die Frage, wie Schriftsteller, Theater- oder Filmemacher traumatische Erlebnisse wie die Atomkatastrophe von Fukushima am 11. März 2011 in ihrer Kunst verarbeiten, wurde vergangene Woche bei einer Konferenz, die am Institut für Japanologie der Universität Wien stattfand, diskutiert. "Sie ringen um Möglichkeiten, die Schrecklichkeit dieser Erfahrungen auszudrücken", sagte einleitend Ina Hein, Professorin für japanische Kulturwissenschaft an der Universität Wien.

Die Schwerpunkte der Tagung lagen auf dem Pazifikkrieg (1937- 1945) und der sogenannten Dreifachkatastrophe von Fukushima: Ein starkes Seebeben löste einen riesigen Tsunami aus. Dabei kam ein Atomkraftwerk zu Schaden, und große Mengen radioaktives Material wurden freigesetzt.

"Es besteht die Tendenz zu einem nichtlinearen Erzählen, um eine Erfahrung der Zersplitterung zu vermitteln", sagte Hein. Eindrücke der Zerstörung, der Ohnmacht und der Verwirrung prägen etwa Elfriede Jelineks Theaterstück Kein Licht, das die österreichische Schriftstellerin unter dem Eindruck der Fukushima-Katastrophe schrieb. Dieser Text erreichte in Übersetzung auch Japan, wo er 2012 von der Theatergruppe Chiten in Tokio auf die Bühne gebracht wurde. "Es ist ein Versuch, den Toten zuzuhören", sagte Asako Fukuoka, Germanistin an der japanischen Universität Kobe, die sich mit den Stilmitteln des Stücks sowie seiner Rezeption in Japan befasste.

Fukuoka geht es in ihrer Forschung um Literatur von Personen, die über Katastrophen schreiben, die sie nicht selbst erlebt haben, entweder aufgrund räumlicher Entfernung – wie im Falle Jelineks – oder wegen zeitlicher Distanz. Nicht zuletzt der Verlust von Zeitzeugen stelle die Gegenwartsliteratur vor die Frage nach der Vermittlung dessen, was als unbeschreiblich gilt.

Ein Stück, das ebenso wie Kein Licht stark mit Collage und Intertextualität arbeitet, etwa durch das Zitieren von Zeitungsartikeln und öffentlichen Persönlichkeiten, ist Kiruannya to Uko-san, das der japanische Dramatiker OOnobu Pelican unmittelbar nach der Dreifachkatastrophe schrieb.

Trauerarbeit im Theater

Am Beispiel dieses Textes zeigte Barbara Geilhorn wesentliche Aspekte des japanischen Dokumentartheaters auf: Es ermögliche die kritische Verhandlung der Katastrophe und gleichzeitig das Einbringen historischer Informationen genauso wie der eigenen Geschichte. Die Japanologin an der Freien Universität Berlin stellte die These auf, dass das Theater, weil es im Gegensatz zur Literatur gemeinschaftlich rezipiert wird, ein besonderes Medium der Trauerarbeit sei. Analog zum 11. September 2001 wird in den Kulturwissenschaften auch 3/11, also die Katastrophe vom 11. März, als Zäsur begriffen.

Dies gilt auch für das Selbstverständnis der Japanologie, wie Lisette Gebhardt, Japanologin an der Universität Frankfurt, ausführte: "3/11 erfordert eine Bilanzierung des Faches." Weiters betrifft es die inhaltliche Auseinandersetzung, etwa wie man literarische Strömungen festmacht. Während man die sogenannte "genbaku bungaku" – die "Atombombenliteratur" aus Japan – oftmals in eine dokumentarische und eine fiktional-fantastische Richtung einteile, würde bei der Literatur, die auf Fukushima reagiert, eher zwischen kritisch-subversiven und konservativen, gefügigen Herangehensweisen unterschieden, erklärte Hein.

Heins Vortrag behandelte wiederum eine Episode des Pazifikkriegs. Im Jahr 1945, als sich das Ende und der Ausgang des Kriegs bereits abzeichneten, kam es zur Schlacht von Okinawa. "Die allgemeine Auffassung ist, dass Okinawa als Schutzschild für die japanischen Hauptinseln benutzt wurde", sagte Hein. Die Inselgruppe wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts japanisch und war zu-vor ein eigenes Königreich mit eigener Sprache. Nicht nur wurde die Insel in der Schlacht quasi vollständig zerstört, es sei auch zu Menschenrechtsverletzungen seitens der japanischen Armee gegen die okinawanische Bevölkerung gekommen, wie Hein ausführte.

Fragmentarische Prosa

Nach dem Krieg blieb Okinawa bis 1972 unter amerikanischer Besatzung – 20 Jahre länger als der Rest Japans. Noch heute finden sich Militärbasen auf der Inselgruppe, wogegen es immer wieder Demonstrationen gibt. Die Nachwirkungen des Pazifikkrieges sind in dieser Region hochgradig präsent – auch in der Literatur. Hein zog in ihrer Analyse den Literaten und Aktivisten Medoruma Shun heran, um die Besonderheit des künstlerischen Ausdrucks aufzuzeigen: Während Shuns Essays direkt und klar seien, zeichne sich seine Prosa durch einen fragmentarischen Stil aus: "Während die Essays die materiellen Komponenten der Schlacht thematisieren, weisen die fiktionalen Texte auf die unterdrückten Elemente der Auseinandersetzung hin." (Julia Grillmayr, 7.10.2016)