Menschen für die Arbeitswelt der Zukunft fit zu machen sei Aufgabe der Schulen und Hochschulen, maßgeblich aber auch jene der Betriebe, sagt Bildungsforscher Bliem. Sie müssten Erstausbildungen und Weiterbildungen anbieten und fördern.

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Expertinnen und Experten zum Thema Digitalisierung und Automatisierung werden künftig gefragt sein wie nie.

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Fachkräfte sind auch im Gesundheitssektor gesucht. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) sagt ihm bis 2020 einen Beschäftigungsanstieg von knapp 8500 Personen pro Jahr voraus.

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Digitale Kompetenzen – sie sind das Schlagwort der Gegenwart und der Zukunft. Es sind jene gefragten Qualifikationen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitbringen müssen, sind sich Experten einig. "Digitalisierung und Automatisierung sind Megatrends, und zwar auf allen Ebenen und Qualifikationsniveaus", sagt Wolfgang Bliem, Experte für Arbeitsmarkt- und Qualifikationsforschung am Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft. Um mit den neuen Herausforderungen fertigzuwerden, brauche es andere Fähigkeiten und Fertigkeiten. Aber welche?

Gefragt sind zunächst neue soziale und persönliche Fähigkeiten. Denn im digitalen und globalen Zeitalter ändert sich die Art des Zusammenarbeitens grundlegend. "Wir kommunizieren häufiger über weitere Distanzen miteinander", sagt Bliem. "Der eine Mitarbeiter sitzt womöglich im Büro, der andere zu Hause, die dritte in China." Kollegen müssten lernen, sich per Internet zu verständigen, sagt der Experte – und meint damit vor allem "die Fähigkeit, kurz und präzise zu kommunizieren". Zunehmend wichtig werde in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung auch Flexibilität, in puncto Arbeitszeit und Arbeitsort, "aber auch geistige Flexibilität". Außerdem sei ein gutes Selbstmanagement essenziell. Wenn Arbeit überallhin mitgenommen werden kann, müsse man auch lernen, sich abzugrenzen. "Wichtig ist zu bestimmen: bis hierher und nicht weiter", sagt Bliem.

Alle brauchen IT-Skills

Aber nicht nur für die Kommunikation und das Organisieren der Arbeit wird Technik wichtiger – sie durchdringt zunehmend auch die Tätigkeiten selbst. Welche Fertigkeiten sich Unternehmen von Arbeitnehmern wünschen, ermittelt das Arbeitsmarktservice AMS im sogenannten "New Skills"-Projekt, gemeinsam mit Personalisten und Personalentwicklern. In nahezu allen Berufsfeldern müssten Menschen immer stärker mit Maschinen zusammenarbeiten, sagt AMS-Chef Johannes Kopf. Hochqualifizierte seien ebenso wie Niedrigqualifizierte betroffen. "Selbst einfachste Produktionsarbeiter müssen mittlerweile Kommunikationstools verwenden, um sich über Arbeitsanweisungen oder Richtlinien zu informieren oder um Urlaub anzusuchen. Auch Reinigungskräfte führen mittlerweile elektronische Aufzeichnung darüber, in welchem Zimmer sie gerade sind." Besonders im Wandel begriffen sei der Sektor Industrie, die Kommunikations- und Informationsbranche sowie der Verkehr- und Logistikbereich.

Menschen für die Arbeitswelt der Zukunft fit zu machen, sei Aufgabe der Schulen und Hochschulen – maßgeblich aber auch jene der Betriebe, sagt Bildungsforscher Bliem – sie müssten Erstausbildungen und Weiterbildungen anbieten und fördern. "Wenn man die Demografie betrachtet, erkennt man, dass – auch, wenn wir immer noch steigende Arbeitslosenraten haben – es über kurz oder lang in vielen Bereichen zu erheblichen Arbeitskräftemängeln kommt. Unternehmen müssen die Notwendigkeit akzeptieren und investieren", mahnt Bliem – und fügt hinzu: "Bei vielen Unternehmen herrscht Unklarheit, was genau Gegenstand der Weiterbildung sein soll." So offerieren viele eher Schulungen zu Hard Skills als zu Soft Skills. Nicht zuletzt deshalb, weil "oft auch die Fantasie fehlt, wie man Letztere denn vermitteln soll", sagt der Experte. "Da bietet man dann lieber wieder einen Computerkurs an, weil es leichter greifbar ist und man die Resultate besser überprüfen kann." Zweifelsohne, so Bliem, seien aber auch Hard Skills, Fachkenntnisse für die Arbeitswelt der Zukunft, wesentlich. "Zum Beispiel Automatisierungstechnik, Robotertechnologien und Material-Know-how."

Für besonders nützlich hält der Forscher Weiterbildungen direkt am Arbeitsplatz. "Weil man sehen kann, was passiert, und das Gelernte direkt einsetzen kann."

Zukunft Gesundheit

Für die meisten Jobs wird heute also bereits ein Technologieverständnis vorausgesetzt – Digitalisierung und Automatisierung verlangen aber auch nach Spezialisten, die die Entwicklungen vorantreiben. An ihnen fehlt es aktuell: In der AMS-Liste der Mangelberufe finden sich vor allem solche rund um Technik, Ingenieurwesen, Datenverarbeitung und IT. Jedoch sind nicht nur Akademiker gefragt, Bliem: "Es braucht Fachkräfte auf den unterschiedlichsten Qualifikationsniveaus." Auch für jemanden der eine Techniklehre absolviere, beispielsweise als Mechatroniker, stünden die Jobchancen künftig gut, so seine Prognose.

Neben Technikern braucht es auch Fachkräfte im Gesundheitsbereich. Kaum einem anderen Sektor wird derart großes Wachstum konstatiert wie in diesem. Grund ist einerseits der demografische Wandel. Menschen werden immer älter, eine zunehmende Zahl ist pflegebedürftig – ein Trend, der sich nach Expertenmeinung fortsetzen und den Pflegebedarf und den Bedarf an Personal in den kommenden Jahren weiter steigern wird.

Zudem, und das wird als ein weiterer Grund für das Wachstum des Bereiches ausgemacht, werden Österreicherinnen und Österreicher immer gesundheitsbewusster: 68 Prozent sind laut einer aktuellen Imas-Umfrage zumindest einigermaßen an Informationen zum Thema interessiert, 27 Prozent legen sogar besonders starkes Augenmerk darauf.

Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) sagt dem Gesundheitsbereich bis 2020 einen Beschäftigungsanstieg von knapp 8500 Personen pro Jahr voraus. Besonders begehrt sind Ärzte und verwandte Berufe auf akademischem Niveau, etwa akademische Krankenpflegefachkräfte – hier erwartet das Wifo bis 2020 ein Plus von insgesamt 8.500 unselbstständig Beschäftigten (gerechnet ab 2013). Medizinische und pharmazeutische Fachberufe wie Medizintechniker oder pharmazeutisch-technische Assistenten würden um 6.000 zulegen, Krankenpflege- und Geburtshilfefachkräfte um 22.000. Betreuungsberufen wie Pflegehelfern wird ein Plus von 10.000 Arbeitsstellen prognostiziert.

Auch das Qualifikationsbarometer des AMS zeigt in den Bereichen Gesundheit und Pflege einen großen Bedarf auf dem Arbeitsmarkt. Aktuell meldet das Arbeitsmarktservice besonders viele vakante Stellen für Ärztinnen und Ärzte sowie für Krankenpfleger und -pflegerinnen: Insgesamt 165 beziehungsweise 758 waren es zuletzt an der Zahl.

Beruf im Umweltschutz

Aber es gibt noch einen anderen Trend, der laut Experten Beschäftigungsmöglichkeiten schafft: der zum nachhaltigeren Umgang mit Umwelt und Ressourcen. Regelungen wie die Umweltnorm ISO 14000, das Umweltzertifikat der Europäischen Union oder das österreichische Abfallwirtschaftsgesetz drängen Unternehmen zum Umdenken, heißt es dazu etwa in der Berufsinformationsbroschüre des AMS.

Um die nötigen Fachkräfte auszubilden, haben österreichische Bildungsinstitutionen in den vergangenen Jahren eine Reihe von Studienangeboten geschaffen. So kann man beispielsweise an der Universität für Bodenkultur Wien (Boku) das Fach "Umwelt- und Bioressourcenmanagement" studieren. An der Uni Graz, der Uni Innsbruck und mehreren Fachhochschulen gibt es ähnliche Angebote.

Weiterbildungsinstitute offerieren Qualifikationsprogramme. Beispielsweise können Baumeister oder Architekten am Wifi Wien im Bereich nachhaltiges Bauen Zertifikate erwerben. Das BFI bietet eine Ausbildung zum Abfallbeauftragten.

Die Jobchancen für jene, die einschlägige Aus- und Fortbildungen hinter sich gebracht haben, sind gut. Wichtiger wird laut AMS vor allem der Bereich des technischen Umweltschutzes. René Sturm von der Abteilung Arbeitsmarktforschung und Berufsinformation: "Berufe mit höheren Qualifikationen wie Umweltanalytiker und Umwelttechniker können hier mit wachsenden Beschäftigungsmöglichkeiten rechnen." Ebenso gute Aussichten auf einen Job haben laut Sturm Entsorgungs- und Recyclingfachleute.

Neben Umwelt und Gesundheit sei auch der Sektor Bildung, vor allem Erwachsenenbildung ein "boomender Bereich", sagt wiederum AMS-Chef Kopf: "Weil sich die Welt so schnell verändert und die Antwort darauf Bildung ist, wird man künftig viel mehr Menschen in diesem Bereich brauchen."

Immer entscheidender werde schließlich eine Fähigkeit, die Experte Bliem "Schnittstellendenken" nennt: "Denn, was sich auch abzeichnet, ist, dass unterschiedliche Felder immer stärker zusammenwachsen". Als ein Beispiel nennt er die Bereiche Gesundheit und Tourismus. Mitarbeiter müssen an der Schnittstelle der Bereiche arbeiten, für einen Job in einem Kurhotel etwa wissen: "Wie spreche ich mit älteren Menschen? Wie kann ich sie unterstützen und welche Angebote kann ich ihnen machen?", sagt Bliem. Oder am Beispiel Hausbau illustriert: "Auch ein Fenstermonteur sollte verstehen, warum es wichtig ist, das Fenster luftdicht einzubauen, weil die gesamte Energieeffizienz des Gebäudes daran hängt."

Comeback der Generalisten

Wer bereits in seiner Ausbildung mehrere Fächer und Gebiete fokussiere, ist offenbar im Vorteil. Als jobbringend stuft Bliem "quasi jede Querschnittsqualifikation in Verbindung mit Technik" ein: "Wirtschaftswissen und Technik, juristisches Wissen mit Technik oder Vertriebskenntnisse und Technik. Da gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Da sind auch der Fantasie kaum Grenzen gesetzt, denn was spricht dagegen, ein Facharzt mit touristischen Kompetenzen zu sein, der sich im Wellnessbereich spezialisiert?" Präferiert werden Generalisten mit Spezialisierung, sie können sich schnell umorientieren, wenn sich neue Trends auftun, sagt Bliem. Und AMS-Chef Kopf: "Generalisten, die in einem Gebiet Spezialist sind, sind sehr gefragt. Also nicht der Oberstar-Mikrobiologe – sondern der Oberstar-Mikrobiologe, der das auch noch mit Medizintechnik in Zusammenhang bringen kann."

Und könnten durch Automatisierung und Digitalisierung auch komplett neue Berufe entstehen? Die Experten sind vorsichtig mit Prognosen. "Es gibt viel Forschung dazu, was wegfallen könnte – aber was entstehen wird, traut sich kaum einer zu sagen. Das ist gewissermaßen Kaffeesudleserei", sagt Bliem. Seiner Vermutung nach könnten sich aber im Technik und IT-Bereich weiterhin neue Berufsfelder entwickeln. "Wichtiger werden beispielsweise Datensicherheit und Datenanalysen."

Auch neue Professionen mit Kundenorientierung und Servicecharakter könnten sich hervortun, mutmaßt der Experte. Er sieht Möglichkeiten für Berater. "Wenn wir weniger arbeiten müssen, weil Roboter uns die Arbeit abnehmen, braucht es vielleicht Menschen, die uns sagen, was wir mit unserer gesteigerten Freizeit machen." In einer globalisierten und digitalisierten Welt würden sich Menschen schließlich auch nach Orientierung, nach direktem Kontakt sehnen. "Sie gehen immer lieber zum Schuster, zur Bäckerei, zur Kaffeerösterei um die Ecke", sagt Bliem. "Auch das könnte ein Trend der Zukunft sein: dass sich scheinbar verlorengegangenes Handwerk wieder etabliert." (Lisa Breit, 28.10.2016)