"Ich kann stundenlang davorstehen", sagt Studentin und Museums- aufseherin Kristina Miller über ihr Lieblingsbild, einen Triptychon "ohne Titel" von Jean-Michel Basquiat aus dem Jahr 1983.

Foto: Michael Freund

Wien – Kristina Miller malt zwar nicht, sie zeichnet nur gelegentlich, aber sie ist ein Gutteil ihrer Zeit von Gemälden umgeben. Seit drei Jahren arbeitet sie im Besucherservice im Museum moderner Kunst (Mumok). Für die Studentin der Soziologie und der Kunstgeschichte an der Universität Wien bieten sich hier viele Gelegenheiten, fachlich geschulte Blicke auf das Geschehen in den Sälen zu werfen.

In der laufenden Ausstellung Painting 2.0 ist sie erstaunt über die Vielfalt an Stilen und Schulen, die in den letzten Jahrzehnten einen erweiterten Begriff von Malerei hochhalten. Auch wenn neben Gemaltem auf Leinwand auch Skulpturen, Objekte, Fotos ausgestellt sind: Für Miller ist entscheidend, dass Malfarbe auf den meisten dieser Werke dominiert. Das sei sozusagen die Ehrenrettung des Genres.

Spannend findet sie auch das Kapitel "Soziale Netzwerke", jenen Teil der Schau, der sich mit Künstlerzirkeln und Austausch beschäftigt. Da sind Warhols Factory und die Kölner Gruppe vertreten oder auch die Künstlerinnen um die A.I.R. Gallery in New York, also Vernetzungen lange vor dem Phänomen digitaler "social networks".

Miller beobachtet gerne, wie die Besucher erstaunt vor Jörg Immendorffs Gemälde Musée d'art moderne (1989) stehenbleiben. Immerhin ist das Gruppenbild mit 46 Personen – vor allem aus der deutschen und amerikanischen Kunstszene – drei mal neun Meter groß und dominiert den Raum völlig. In welchem Maß lassen sich die Betrachter in anderen Räumen vom Ausgestellten anziehen?

"Ich sehe", sagt Miller, "wie manche Leute durch die Ausstellungen eilen, ohne sich irgendetwas genauer anzusehen, während andere sich auf bestimmte Bilder sehr konzentrieren, etwa bei Vernissagen." Ein Bild, auf das sich Kristina Miller gerne konzentriert, ist ein Triptychon ohne Titel von Jean Michel-Basquiat aus dem Jahr 1983.

STANDARD: Was hat Sie an diesem dreiteiligen Bild besonders angezogen?

Miller: Zuerst einmal der Künstler selbst. Als ich ungefähr 17 war, hat mir meine Mutter ein Buch mit Bildern von ihm gekauft. Mir ist erst mit der Zeit aufgefallen, dass das kein Gekritzel ist, sondern mehr. Basquiat hat ja auch dementiert, dass er aus der Graffiti-Szene kommt – er sei ein richtiger Künstler. Jedenfalls ist er schwer einzuordnen.

STANDARD: Was sehen Sie auf diesem Bild vor allem?

Miller: Es sind hier mehrere Kronen, die sind schwarzen Menschen aufgesetzt. Dann hatte Basquiat ja einen schweren Autounfall. Seine Mutter brachte ihm das Anatomiebuch von Henry Gray ins Krankenhaus, daraufhin hat er sich viel mit dem menschlichen Körper, mit Skeletten beschäftigt. Man findet hier geschrieben "Skull", "Jaw" "Teeth", "Neck". Das Bild ist von 1983, da war er in seiner anfänglichen Hochphase. Ich frage mich, ob dieses Triptychon unter Drogeneinfluss entstanden ist, weil es doch sehr wild ist. Ich kann jedenfalls stundenlang davorstehen.

STANDARD: Finden Sie es wichtig, dass es ein Triptychon ist?

Miller: Ich sehe die drei Teile als Ganzes. Wörter wiederholen sich, Körperformen, die Kronen. Aber ich denke, das hat er immer gemacht, einfach bestimmte, für ihn wichtige Objekte oder Worte variiert. Auch die Namen schwarzer Sportler oder Musiker kommen vor – hier steht zum Beispiel Miles Davis.

STANDARD: Und was nehmen Sie von dem Bild sozusagen mit nach Hause?

Miller: Meine Freunde und ich haben uns gedacht, dass es schön gewesen wäre, einmal mit dem Basquiat um die Häuser zu ziehen, egal wo. Einfach mit ihm unterwegs sein. Das wäre spannend gewesen, eine wilde Nacht. (INTERVIEW: Michael Freund, 8.10.2016)