Wien – Österreich ist in Sachen Psychiatrie grob unterversorgt, sagen Psychiater. Es gebe zu wenige Kassenverträge. Mehrere Psychiater legten deshalb am Freitag eine "Mängelliste" in Sachen psychiatrische Versorgung vor.

In ganz Österreich gebe es weniger Psychiater mit Kassenvertrag als im Raum Basel in der Schweiz, sagt der Wiener Psychiater Georg Psota, bis vor einiger Zeit Präsident der Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie: "Wir haben in Österreich weniger als 150 Fachärzte für Psychiatrie mit Krankenkassenvertrag." Die Psychiatrie sei das einzige Fach, in dem es viermal so viele Wahlärzte (privat zu zahlen) gebe wie Kassenärzte. "Allein im Raum Basel in der Schweiz gibt es mehr via Krankenkasse erreichbare Psychiater als in ganz Österreich." Der Kanton Basel-Stadt hat rund 200.000 Einwohner, Österreich mehr als acht Millionen. Das gehe in Richtung "Klassenmedizin". Zudem würden wichtige Psychopharmaka nicht erstattet, in Spitalsabteilungen fehlten Personalressourcen, und die Sozialbudgets schrumpften.

"Die Welt ist im Umbruch", sagte Pro-Mente-Präsident Werner Schöny. "Es steigt der Pegel der Angst. Die sozialen Verhältnisse spielen eine wesentliche Rolle. Wir haben eine zunehmende Zahl von Menschen die in Armut leben. Wir haben Flüchtlinge mit Traumata, die behandelt gehören." Die Psychiatrie stehe vor dem Problem, dass die Menschen oft viel zu spät in Behandlung kommen.

Mehr Patienten

Verschärft werde die Situation durch den zunehmenden Sparzwang im Sozialbereich. "In Oberösterreich zum Beispiel soll ein Kostendämpfungsprogramm die Sozialbudgets bis zum Jahr 2020 um 25 Millionen Euro entlasten. Für Pro Mente bedeutet das, dass jedes Jahr beträchtliche Summen weniger zur Verfügung stehen – und das bei gleichzeitig zunehmenden Patientenzahlen", sagte der Experte, der den faktisch direkten Zusammenhang zwischen psychischen Leiden und der sozialen Situation der Menschen betonte. "Wenn es nicht gelingt, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen, werden wir noch mehr Behandlungsbedarf bekommen." Gleiches gelte bei der sozialen Absicherung der älteren Generation.

Therapien fehlen

Weiters stünden zwar neue und die Therapiemöglichkeiten erweiternde Medikamente zur Verfügung, doch der Hauptverband der Sozialversicherungsträger gestatte bei mehreren von ihnen keine routinemäßige Bezahlung. "Für den Großteil der Patienten heißt das: Ihnen werden Therapieoptionen, die in unseren Nachbarländern verfügbar sind, schlicht und einfach vorenthalten", sagte Wolfgang Fleischhacker, geschäftsführender Direktor des Departments Psychiatrie und Psychotherapie der Med-Uni Innsbruck. Dabei fehle es gleichzeitig am ausreichenden Zugang zu Psychotherapie auf Kassenkosten.

Fleischhacker betonte, "bei allem Verständnis für die Notwendigkeit zu sparen": "Derzeit geben wir für die Behandlung von psychisch Kranken jährlich rund 800 Millionen Euro aus. Der Großteil davon entfällt auf Kosten für die Spitalsbehandlung. Die Medikamentenkosten machen nicht einmal zehn Prozent aus." So koste die Behandlung von Patienten mit einem neuen Antidepressivum rund 450 Euro im Jahr. "Das ist nicht einmal das Zwanzigstel der Kosten, die für die medikamentöse Behandlung anderer chronischer Erkrankungen wie Diabetes oder die Schuppenflechte aufgewendet werden."

Das Fazit von Psota zur Situation rund um die Versorgung von psychisch Kranken – und psychische Erkrankungen seien nicht "rar" sondern Volkskrankheiten: Das Vorhalten von ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten sei zu gewährleisten, nicht das "Vorenthalten". (APA, 7.10.2016)