Was haben die USA, was hat die Welt durch das jüngste Video über Donald Trump erfahren, was man nicht schon vorher wusste? Dass er ein hemmungsloser Narziss ist, der alles seinen Eigeninteressen unterordnet? Dass er Frauen vor allem als Lustobjekte sieht, derer sich mächtige Männer wie er bedienen können? Dass er so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und er sich weder um die Gesetze noch um den grundlegenden Anstand schert?

Umschwung in der öffentlichen Meinung

All das war schon seit Jahren bekannt, und auch im Wahlkampf hat Trump sich und seine exzentrische Persönlichkeit nie versteckt. Und dennoch hat die Enthüllung der elf Jahre alten frauenfeindlichen Obszönitäten in der öffentlichen Meinung einen Umschwung ausgelöst.

Seit vergangenem Freitag gilt Trump bei vielen erzkonservativen Amerikanern, die bisher all seine Peinlichkeiten geschluckt haben, um Hillary Clintons Einzug ins Weiße Haus zu verhindern, als Scheusal, vor dem sie ihre Kinder schützen müssen. Und das zwingt mehr und mehr führende Republikaner, die Trump aus taktischen Gründen bisher die Stange gehalten haben, zu einer panikartigen Distanzierung.

Keine Chance auf Ersatzkandidaten

Doch die Partei hat nirgendwohin zu flüchten. Auch wenn Trump selbst aufgeben würde, weil er eine katastrophale Niederlage am 8. November fürchtet, gibt es kaum eine Chance für einen Ersatzkandidaten. Nicht einmal sein Vize Mike Pence, Liebling der religiösen Fundamentalisten, würde in allen Bundesstaaten als Spitzenkandidat gelten.

Und Trump denkt nicht daran aufzuhören. Denn Millionen weißer Männer mit geringer Bildung und starken Ressentiments himmeln ihn weiterhin an – selbst wenn ihre Frauen bei der nächsten Wahlkampfrally zu Hause bleiben. So viele Fans hatte er sogar im Reality-TV nie.

Offener Sexismus ist inakzeptabel

Trumps Chancen auf den Wahlsieg waren schon vor der Videoveröffentlichung gering, jetzt sind sie praktisch nicht existent. Etwas Machismo und Hetze kommt bei vielen Wählern zwar an, aber offener Sexismus wird im heutigen Amerika noch weniger akzeptiert als offener Rassismus. Wenn Clinton jetzt keinen Banküberfall begeht, ist sie die nächste Präsidentin.

Bei den Republikanern geht es in den kommenden Wochen nur noch um die Frage, ob der Politunfall, der ihnen in den Vorwahlen Trump eingebrockt hat, sie nun auch die Mehrheit im Senat und gar im Repräsentantenhaus kostet.

Chance auf rechtzeitige Distanzierung

Aber gerade die wachsende Empörung über Trump gibt der Partei für die Zeit danach eine Chance. Nun haben sie einen Grund, sich von ihm zu distanzieren, und verfügen zugleich über einen Sündenbock für die kommende Niederlage.

Dabei ist Trump mit seiner intoleranten, fremdenfeindlichen und jede Vernunft verachtenden Rhetorik ein Produkt des republikanischen Rechtsrucks. Und die Stimmung in der Parteibasis und einer bedeutenden Bevölkerungsschicht, die den hochstaplerischen Unternehmer so lange beflügelt hat, wird Trump und den Trumpismus überleben.

Bloß "Muschi" darf man nicht sagen

Die Amerikaner, wie zuvor Österreicher, Ungarn und Franzosen, sind auf den Geschmack des Rechtspopulismus gekommen; das wird die amerikanische Politik noch schwer belasten. Selbst die größten Unsinnigkeiten und Gaunereien werden Politikern nachgesehen, wenn sie nur laut genug gegen korrupte Eliten, verbrecherische Ausländer und die Political Correctness in den Städten poltern. Bloß "Muschi" dürfen sie nicht sagen – vor allem, wenn ein Mikrofon dabei eingeschaltet ist. (Eric Frey, 9.10.2016)