Von den Erfahrungen seiner Nation und den Umbrüchen des Jahrhunderts geprägt: der polnische Filmemacher Andrzej Wajda.

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Wajda wurde bei den Oscars im Jahr 2000 für sein Lebenswerk geehrt.

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Warschau – Wo und wann genau der Untergang des real existierenden Sozialismus begann, ist eine Frage für müßige Stunden. Aber unbestritten ist, dass Polen eine wichtige Rolle gespielt hat. Und im Werk von Andrzej Wajda kann man nach den Zusammenhängen suchen: künstlerische Freiheit, politische Freiheit, existenzielle Freiheit – das sind die Fragen, mit denen er an seine Stoffe heranging, häufig historische Stoffe, in denen es um die Schlüsselmomente des polnischen 20. Jahrhunderts ging.

In seinem letzten Film Powidoki (Afterimage), der erst vor wenigen Wochen beim Filmfestival von Toronto seine Premiere hatte, erzählt Wajda von dem Maler und Kunsttheoretiker Władysław Strzeminski, der eine Theorie des Sehens schrieb, und den er in dem Moment zeigt, in dem eine riesige rote Stalin-Fahne sein Atelier verfinstert. Ein Mann, der in der Stunde der härtesten Vereinnahmung der Kunst durch eine totalitäre Ideologie mutig sein Wort erhebt, das ist nun das Vermächtnis von Andrzej Wajda.

Unter den jungen Leuten, die in Powidoki an den Lippen von Strzeminski hängen und die dessen Vorlesungen mit der Schreibmaschine abtippen, um sie zu bewahren, kann man sich gut den angehenden Filmemacher Andrzej Wajda vorstellen. Er kam 1950 nach Łódź an die berühmte Filmhochschule, nach einer Kindheit und Jugend, die anfangs noch durch ein unbeschwertes Leben auf dem Land geprägt war. Doch dann geriet Polen in die Mühlen der Geschichte: 1940 wurde Wajdas Vater bei dem Massaker in Katyn getötet, für das die Kommunisten für viele Jahre die Deutschen verantwortlich machten. 2007 erzählte Andrzej Wajda seine Version der Geschichte, in einem seiner Epen, die häufig auf ähnliche Botschaften hinausliefen: "Ohne euch wird es kein freies Polen geben."

Ein freies Polen gab es in Wajdas Leben nur ganz am Anfang, und erst wieder nach 1989, aber auch dann nur mit Einschränkungen. Während des Kalten Kriegs ging es immer darum, die Möglichkeiten auszuloten. 1955 drehte Wajda seinen ersten langen Spielfilm: Eine Generation, ein Porträt seiner Generation, junger Leute, die unter der deutschen Besatzung erwachsen werden mussten. Zwei Jahre später folgte Der Kanal (über den Widerstand in Warschau, der sich buchstäblich in den Untergrund zurückziehen muss), ein Jahr darauf sein nächster großer Film Asche und Diamant (über die zwiespältige Befreiung 1945). Es gibt aus diesen Jahren aber auch noch einen anderen Wajda, nämlich den Zeitgenossen, der mit Die unschuldigen Zauberer (1960) einen Film auf der Höhe der französischen Nouvelle Vague machte, ein Stadtporträt von Warschau in einer Phase, in der der ideologische Druck ein wenig nachließ.

Selbstreflexiver Humanist

Wajda war bald als der herausragende polnische Filmkünstler international anerkannt, ein Ruf, den er mit Der Mann aus Eisen (1977) bestätigte, einer Revision des Stalinismus, die schon auf die 80er-Jahre und die freie Gewerkschaftsbewegung vorauswies. 1983 konnte er in Frankreich Danton drehen, einen Prestigefilm über die Französische Revolution, mit Gérard Depardieu in der Hauptrolle. In das Jahr, das alles neu machte, ging Wajda nicht unpassend mit einer Verfilmung von Dostojewskis Dämonen (1988).

Stilistisch enthalten seine Arbeiten fast die ganze Bandbreite der Möglichkeiten zwischen einem orthodoxen Ausstattungskino und einem eher modernistischen, selbstreflexiven Ansatz. Häufig verwendete Wajda dokumentarisches Material. Sein Humanismus war zutiefst von den Erfahrungen seiner Nation geprägt und durchaus auch religiös imprägniert. Mehrfach beschäftigte er sich mit Themen des Christentums. Und bei Der Kalmus (2009) kam noch einmal alles zusammen: die Endlichkeit des Menschen und die Transzendenz der Kunst.

Am Sonntag ist Andrzej Wajda im Alter von 90 Jahren in Warschau gestorben. (Bert Rebhandl, 10.10.2016)