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Bei Balenciaga verzerrt Designer Demna Gvasalia die breiten Schultern schon fast ins Karikaturhafte.

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Wäre auch ohne Polster stark: Grace Jones.

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Joan Crawford mit gigantischen Rüschen.

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Stars werden nicht geboren, sie werden gemacht. Das beweist die steile Karriere der Revuetänzerin Lucille Fay LeSueur, die in den 1920er-Jahren in Hollywood landete. Sie war rothaarig, ein wenig pummelig und hatte Sommersprossen. Das neu gegründete Filmstudio Metro-Goldwyn Mayer verordnete ihr eine strenge Diät (Steak und Tomaten), ließ das Publikum in einer Zeitschrift entscheiden, unter welchem Pseudonym sie zukünftig arbeiten sollte und stellte ihr den genialen Kostümdesigner Gilbert Adrian zur Seite, der aus ihrem Manko (zu breite Schultern und Hüften) ein Markenzeichen machte: Durch den Kriminalfilm "Letty Lynton" (1932) wurde Joan Crawford zur Stilikone.

Ihr weißes Kleid hatte gigantisch breite, gerüschte Schulterpartien. Adrian löste mit dieser Polsterung, die eigentlich die exzentrische Designerin Elsa Schiaparelli einige Jahre zuvor in die Haute Couture integriert hatte, einen Massentrend aus: Das Kaufhaus Macy's bot eine preisgünstige Kopie des Filmkleides an, das sich über 500.000-mal verkauft haben soll.

Crawfords Outfits erzählen von der Macht der Mode: Du bist, was du anhast. Kleide dich, als ob du erfolgreich wärst, und der Erfolg wird sich einstellen. In den folgenden Jahren verkörperte der Hollywoodstar meist kleine Angestellte, die sich aus eigener Kraft nach oben arbeiten.

Crawfords Schulterpolster waren gezielt als feministisches Statement inszeniert, sie waren eine Art Schutzpanzer, um in einer von Männern dominierten Businesswelt einen Platz zu erobern. Zugleich waren sie eine modische Kriegserklärung an die Rezession der krisengeschüttelten 1930er-Jahre.

Raumgreifendes Ego

Schulterpolster sagen: Leg dich nicht mit mir an! Mein Ego ist mindestens genauso raumgreifend wie meine Schultern. Kein Wunder, dass sie in den campen und gierigen 1980er-Jahren wiederkehrten, in denen Politikerinnen wie Margaret Thatcher den enthemmten Kapitalismus in adretten Kostümen mit breiten Schultern propagierten. Die exzentrischere Version davon geisterte durch die TV-Serie "Dynasty" (1981-89), in der Kostümexzesse an der Tagesordnung waren. Wie auf Koks brüllten die schrillen Kleider: Ich bin der Boss!

Überdreht und fast schon wieder selbstironisch entwarfen Thierry Mugler und Claude Montana für starke, androgyne Frauen wie die Sängerin und Schauspielerin Grace Jones, die auch ohne Schulterpolster mächtig wirkten. Power-Dressing nannte man das damals, ein Konzept, das durch das Buch "Dress for Success" (1975) von John T. Molloy berühmt wurde, einen Leitfaden dafür, wie man als Frau durch Kleidung Autorität herstellt. "Zieh dich an, als ob du den Job schon hättest", lautet einer der zentralen Sätze, der in dem Hollywoodfilm "Die Waffen der Frauen" 1988 in Form einer Wallstreet-Komödie durchexerziert wurde.

Und heute? In den Modeschauen für Sommer 2017 sieht man flächendeckend eine neue Art von Power-Dressing, der französische Designer Jacquemus mixt die Polster mit Folklore, Céline kombiniert sie sportlich-elegant, Louis-Vuitton-Designer Nicolas Ghesquière dekonstruiert den Eighties-Look und legt die Schulterpolster frei, Rodolfo Paglialunga setzt für Jil Sander auf einen cleanen Businessminimalismus mit extremen Schultern, während der angesagte Vetements-Chef Demna Gvasalia für Balenciaga die Silhouette schon fast ins Karikaturhafte verzerrt: In kastenartigen Mänteln, breit wie einst die Bühnenkostüme von Talking-Heads-Frontmann David Byrne, schwanken seine dürren Models über den Laufsteg.

Oversize-Silhouetten

Nach den etwas faden Normcore-Jahren hat es die Mode gerade wieder gern schräger. Die neue Liebe zu den Schulterpolstern ist nur ein Anzeichen dafür, seit längerem verändern sich die Silhouetten Richtung oversized. Der Körper wird durch Kleidung aufgeblasen, die Menschen wirken klein und verletzlich. Ob man das jetzt politisch deuten soll, ist fraglich. Schließlich gibt es keinen dominanten Trend mehr, verträumter Hippie-Look steht neben Power-Dressing, Millenniumsironie neben Grunge.

Alles geht irgendwie – politisch ist da wenig zu holen. Ergiebiger ist die Frage, wie feministisch diese Silhouette noch immer ist. Schließlich beobachten wir gerade einen Wandel im Frauenbild der Mode: Die glatte Tom-Ford-Sexyness ist out. Wenn schon sexy, dann mit Rockstar-Attitüde und verwischtem Make-up wie bis vor kurzem unter Hedi Slimane bei Saint Laurent. Die neue Frau ist entweder extrem sportlich (Sixpack und Boxunterricht, siehe It-Model Gigi Hadid) oder schräg wie die omahafte Gucci-Brillenschlange oder das windschief bis buckelige Vetements-Girl.

Doch die neue Power-Frau zieht sich meist nicht mehr stark an, um im Job aufzusteigen. Sie ist mit allen Wassern der Dekonstruktion (Margiela) gewaschen und betrachtet ihre Outfits ironisch. Sie streckt provokant den Mittelfinger heraus – geht aber trotzdem brav ins Fitnessstudio. Rebellion ist ein lukrativer Teil des Systems geworden, Mode ist verwirrender und selbstreferenzieller. Feministisch ist nicht mehr das Kleidungsstück an sich, das ohnehin meist als Zitat zu verstehen ist, sondern die Art, wie man es trägt. Fuck you very much! (Karin Cerny, RONDO, 17.10.2016)