Wien – Die Schere zwischen Exporten und Importen von Strom zwischen Österreich und den Nachbarländern geht immer weiter auf. Gab es im Jahr 2000 noch einen leichten Überhang bei den Stromexporten, hat sich dies in der Zwischenzeit ins Gegenteil verkehrt. Im Vorjahr belief sich der Anteil der Stromimporte am Inlandsstromverbrauch auf 16,4 Prozent – so viel wie noch nie.

"Das ist besorgniserregend, die Abhängigkeit vom Ausland ist für Österreichs Versorgungssicherheit bedrohlich", sagte der Präsident des Interessenverbands Erneuerbare Energie Österreich (EEÖ), Peter Püspök, in einer Pressekonferenz am Mittwoch. Die Importe stammten überwiegend aus Kohle- und Atomkraftwerken. Dies konterkariere Österreichs Antiatomkurs und sei auch in puncto Klimaschutz bedenklich.

Die Stromimporte stammten großteils aus Deutschland (16,1 Terawattstunden, TWh) und Tschechien (12,3 TWh). Der Strommix in Tschechien bestehe zu einem Drittel aus Kernenergie (Temelin) und zu 54 Prozent aus Kohle, sagte EEÖ-Geschäftsführer Peter Molnar. Und dieser Strom komme auch nach Österreich.

Aus dem Stromkennzeichnungsbericht der E-Control geht hervor, dass Österreich "atomstromfrei" ist. Das lässt Erwin Mayer, stellvertretender Geschäftsführer des EEÖ, nicht gelten. Das Stromkennzeichnungssystem in Österreich sei "ein Ablasshandel -- zu Dumpingpreisen". Zur Verschleierung der Atomstromimporte würden frei handelbare Herkunftsnachweise von Wasserkraftwerken vornehmlich aus Norwegen und Schweden eingesetzt. Diese kosteten nur 0,059 Euro je Megawattstunde und seien die günstigsten in Europa.

Bei Österreichs Energie kann man die Aufregung nicht verstehen. "Physikalische Flüsse haben nichts mit Handelsgeschäften zu tun", sagte der Sprecher von Österreichs Energie, Ernst Brandstetter, dem STANDARD. Außerdem gingen die in der Kritik stehenden Ringflüsse (Loop-Flows) bereits zurück, nachdem Polen und Tschechien Phasenschieber an den Grenzen installiert haben.

Loop-Flows gibt es meist dann, wenn an besonders sonnigen oder windigen Tagen in Deutschland mehr Strom produziert wird, als das Stromnetz bewältigen kann. Um einen Blackout zu verhindern, wurden die Überschüsse bisher in das Ausland umgeleitet, die Kohlekraftwerke blieben am Netz.

EEÖ-Präsident Püspök fordert den forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien in Österreich – aus Gründen der Glaubwürdigkeit und der Versorgungssicherheit. Püspök erwartet, dass der Strombedarf deutlich steigt, wenn der Verkauf von Elektroautos erst einmal abhebt. Darauf sollte Österreich bestmöglich vorbereitet sein. (stro, 13.10.2016)