In mystisches Licht getaucht: Im Jahr 2004 filmte Peter Hutton in meditativen Aufnahmen die Landschaft um Skagafjörður im Nordwesten Islands – "Skagafjördur".

Foto: Viennale

Landschaftsfilmer Peter Hutton (1944-2016).

Foto: Viennale

Mauerwerk, von dem der Putz bröckelt, darunter werden die Ziegel sichtbar. Ein Ladenschild, von dem nur noch der Metallrahmen vor der Tür hängt. Ein unbespanntes Fuhrwerk vor einem Laden mit zwei Fenstern: So unscheinbar sind die Motive, mit denen Peter Hutton 1960 seinen Film Lodz Symphony begann, eine dokumentarisch-poetische Studie der polnischen Stadt.

Dass Hutton, ein ehemaliger Seemann aus den Vereinigten Staaten, in den Jahren des tiefsten Kalten Kriegs in Lódz auftauchte, dort auch eine Straße der Revolution von 1905 filmte, und die Geschichtszeichen vor allem in Stein gemeißelt fand, das war ein ähnlich wichtiger Brückenschlag in der Filmgeschichte wie die Ankunft des Litauers Jonas Mekas in New York. Hutton beließ es mit seiner Symphonie bei dem, was diese musikalische Gattungsbezeichnung nahelegt: eine Aussageform fast ganz ohne Worte, alles ist in die Musik der (stummen) Bilder gelegt, sogar das Hoffnungssignal eines leichten Vorhangs, durch den am Ende die Luft in einen dunklen Raum fächelt. Das mochte als alternative Metapher zum Tauwetter lesen, wer wollte.

Still und bewegt

Peter Hutton, der im vergangenen Juni 71-jährig verstarb, war ein Filmemacher, der das Bewegtbild wieder mit dem stillen Landschaftsbild in Verbindung brachte. Die Musik war ein Bindeglied, gerade dann, wenn keine zu hören ist – in der Regel sind seine Filme ohne Ton. Auch Images of Asian Music (A Diary from Life 1973-74), entstanden aus einer Zeit heraus, in der er wieder zur See fuhr. Die asiatische Musik kann man sich nicht einmal dazu denken, es ist eher so, dass Hutton seine Bilder in einem zeitlichen Verhältnis ordnet, das im weitesten Sinn musikalisch ist, einer Kompositionslehre unterworfen, die sich niemals übersetzen lässt. Die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh erscheint ebenso der Zeit entrückt wie ein Jahrzehnt davor Lódz.

Das Ephemere des einzelnen Eindrucks, der sich zu Collagen zusammensetzen lässt, wich aber im Werk von Peter Hutton zunehmend einer Kunst der Texturen. Die berühmteste bestimmt seinen wahrscheinlich markantesten Film: At Sea (2007). Eine Studie der größten gleichförmigen (und in sich doch ungeheuer zerklüfteten) Oberfläche der Erde: des Meeres. Auf einem Schiff drehte Hutton den Zyklus eines Schiffes: von der Werft in Korea bis zum Friedhof am Indischen Ozean. Dazwischen aber ist das Schiff auf dem Wasser.

Als er 2007 dieses Projekt realisieren konnte, hatte sich seine äußere Situation bereits lange gewandelt gehabt. Er war nun Akademiker, am Bard College hatte er eine Heimat gefunden, er musste nicht länger mit Lohnarbeit seine Filme querfinanzieren, sondern seit den frühen 1980er-Jahren war er in diesem speziellen Feld anerkannt und untergekommen, in dem auch Robert Gardner wirkte, dessen Screening Room (1977) mit Peter Hutton die Viennale auch zeigt. In lockerer Gesprächsform findet sich hier die beste Biografie des dabei noch ganz jungen Filmkünstlers.

Nach vor und zurück

In die visuellen Impressionen schreibt sich aber immer wieder die Geschichte ein. Two Rivers (2002) oder Three Landscapes (2013) sind eben nicht bloß strukturelle Analogien, oder Untersuchungen motivischer Vergleichbarkeit, sondern manchmal hochverdichtete Zivilisationsverläufe, nach vor und zurück, von Detroit nach Äthiopien, an den Anfang der Geschichte. Dazwischen, wie so oft, das Tal des Hudson River, des Flusses, den Hutton über die Jahre studiert hat wie Cézanne den Mont Sainte-Victoire. Und manchmal darf auch bei Hutton der Film die Stelle eines intimen Tagebuchs einnehmen, wie das bei Mekas so oft der Fall ist. Dann klingt ein Titel ganz nach dem Gestus einer "caméra stylo": July 71 in San Francisco, Living at Beach Street, Working at Canyon Cinema, Swimming in the Valley of the Moon (1971).

Die Gegenkultur der Westküste hat ihn stärker geprägt, als man später immer erkennen konnte. Als "eine kleine Abzweigung von großen Konzepten" hat Hutton seine Arbeiten beschrieben, als ein "Studium von etwas, was nicht mit Information befrachtet ist. Die Erfahrung meiner Filme gleicht ein wenig dem Tagträumen." Diese Selbstaussage versucht, ein wenig die Ansprüche herunterzufahren, die Hutton nicht macht, die sein Werk aber enthält: Alle Grundsatzfragen über ein Weltverhältnis, das durch eine Kamera vermittelt ist, stellen sich hier mit fragiler Wucht neu. (Bert Rebhandl, 14.10.2016)