Die Verabschiedung des Freihandels- und Investitionsabkommens zwischen der EU und Kanada (Ceta) bei einem Gipfel der Staats- und Regierungschefs wird zur Zitterpartie. Die feierliche Unterzeichnung in Brüssel ist bei einem zweitägigen Treffen am 27./28. Oktober vorgesehen. Am Freitag gab es in Diplomatenkreisen jedoch erste Hinweise, dass der kanadische Premierminister Justin Trudeau den Flug über den Atlantik absagen könnte.

"Wenn es Probleme gibt, kommt er nicht", erfuhr der STANDARD in Diplomatenkreisen. Es gelte noch einige Tage abzuwarten, ob der Gipfel Sinn mache. Unter Umständen müsse das Ganze verschoben werde, was das geplante vorläufige Inkrafttreten des Vertrages ab Anfang 2017 wieder infrage stelle. Trudeau hatte in der Nacht auf Freitag bei einem Treffen mit dem französischen Premier Manuel Valls in Ottawa einen klaren Hinweis gegeben, wie verärgert er ist über die Hinhaltetaktiken in der Union: "Wenn Europa es nicht schafft, dieses Abkommen zu unterzeichnen, dann sendet es eine sehr klare Botschaft, nicht nur an die Europäer, sondern an die ganze Welt, dass es einen Weg wählt, der nicht produktiv ist", sagte er, "weder für seine Bürger noch für die Welt, was sehr schade wäre".

Die Partner jenseits des Atlantiks müssten "entscheiden, wozu die EU gut ist". Trudeau fügte hinzu, dass er die Glaubwürdigkeit der Europäer auf globaler Ebene bedroht sieht: "Wenn Europa unfähig ist, ein fortschrittliches Handelsabkommen mit einem Land wie Kanada zu unterzeichnen, mit wem will Europa dann in den nächsten Jahren Handel treiben?"

Belgien als Stolperstein

Dass es gravierende Probleme bei der Zustimmung aller 28 EU-Staaten gibt, zeigte sich nur wenige Stunden später in Belgien. Das Regionalparlament hatte darüber abzustimmen, ob der sozialistische Regierungschef der Region, Paul Magnette, der belgischen Zentralregierung die Ermächtigung gibt, Ceta im EU-Rat der Handelsminister zuzustimmen. Mit einer Mehrheit von 46 gegen 16 Stimmen bei einer Enthaltung lehnten die Abgeordneten das ab. Magnette kündigte sein Veto an, Ceta sei neu zu verhandeln. Die Entscheidung kam nicht überraschend: Sie hat – neben den inhaltlichen Bedenken zum EU-Außenhandel – eine starke innenpolitische Komponente.

Die Wallonie im Süden Belgiens hat nach dem Niedergang der Stahlindustrie mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, die Globalisierungskritiker setzen die regierenden Sozialisten unter Druck. Dieser wird nun an die Föderalregierung in Brüssel weitergereicht, die seit zwei Jahren von den Liberalen unter Premierminister Charles Michel und der Neuen Flämischen Allianz (N-VA) mit Unterstützung der Christdemokraten gebildet wird.

Kuriosum: Bis Herbst 2014 wurde das Land vom sozialistischen Premierminister Elio di Rupo regiert, einem Wallonen. Er hatte den Abschluss von Ceta im Sommer 2014 noch begrüßt. Ein Aus für Ceta muss das Votum dennoch nicht bedeuten. Premier Michel plant offenbar, die mit starker Mitsprache ausgestatteten Regionalregierungen und -Parlamente zu versammeln und Zugeständnisse zu machen. Das wallonische Parlament könnte dann erneut abstimmen. Die EU-Kommission hielt sich mit Erklärungen zurück. Es sei das "ein Prozess, der sich entwickelt", sagte ein Sprecher, sonst: "Kein Kommentar."

Am Dienstag treffen die EU-Handelsminister mit den Außenministern in Luxemburg zusammen, wo Ceta beschlossen werden soll. Dabei würde eine qualifizierte Mehrheit im Rat ausreichen. Die wäre gegeben, weil die deutsche Regierung nach dem Urteil der Verfassungsrichter in Karlsruhe Ceta ebenso zustimmen wird wie Slowenien und Österreich.

Allerdings strebt der Ratsvorsitz Einstimmigkeit an, die bei der Unterzeichnung des Pakts auf Ebene der Staats- und Regierungschefs nötig wäre. Vieles deutete darauf hin, dass bis zur letzten Minute verhandelt wird. (Thomas Mayer aus Brüssel, 14.10.2016)