Selfie mit einem Freund, der trotz seiner Leblosigkeit wie ein Schweizermesser Stücke spielt: Daniel Radcliffe (li.) und Paul Dano in "Swiss Army Man" von Daniel Kwan und Daniel Scheibert.

Foto: Thimfilm

Wien – Swiss Army Man ist ein monströser Film. Er beginnt damit, dass ein junger Mann auf einer einsamen Insel gelandet ist. Hoffnungslos allein. Die Postkartenansicht erweist sich rasch als Trugbild, und eine zu einem kleinen Segelboot umfunktionierte Plastikflasche lässt das Schlimmste befürchten: Es ist die Flaschenpost eines Todgeweihten.

Doch das Monströse an diesem Film ist nicht das Sterben des Gestrandeten, sondern seine Erlösung – in der Gestalt eines angeschwemmten leblosen Körpers. Dieser hält Hank (Paul Dano) nämlich von seinem letzten Entschluss noch einmal ab. Denn vielleicht sollte man in diesem Augenblick doch das eigene Leben behalten, um dieses andere zu retten.

Was in der Folge in diesem Film passiert, lässt sich am besten als Versuchsanordnung beschreiben. Zwischen Hank und dem in einem zerschlissenen Anzug angespülten Fremden (Daniel Radcliffe) entwickelt sich nämlich bald mehr als die übliche Männerfreundschaft. Hanks für den Rest des Films einziger Gefährte ist – das darf verraten werden, weil auch der Film von Beginn an kein Geheimnis daraus macht – tot. So tot, wie man sich wie Hank jemanden wünscht, der einem gerade deshalb alle Wünsche erfüllt.

A24

Und von einer solchen Wunscherfüllung, die sich zwischen Fantasie und Halluzination bewegt, erzählt Swiss Army Man, geschrieben und inszeniert von Daniel Kwan und Daniel Scheibert. Seit seiner Premiere beim Festival von Sundance, bei dem das Duo mit dem Regiepreis ausgezeichnet wurde, sorgt dieser Film für einiges Aufsehen – aber nicht nur wegen eines dauerfurzenden Radcliffe, mit dessen olfaktorischer Besonderheit der Schiffbrüchige immerhin kurzfristig seine Freude hat, weil er sie etwa als natürlichen Antrieb verwenden kann. Sondern weil der Tote, wie ein alle Stücke spielendes Schweizermesser, für so einiges herhalten muss.

Manny, wie er von Hank genannt wird, steht seinem Herrn nämlich mit Leib – und ja, auch Seele – zu Diensten. Als bewegliche Puppe erweist er sich nicht nur als Ansprech-, sondern als Gesprächspartner. Swiss Army Man changiert dabei zwischen albernem Slapstick und tatsächlicher Empathie mit seinen Figuren, macht aus dem alten Topos der Robinsonade etwas unerwartet Neues. Er durchspielt alle Tonlagen des Subgenres, vom Männerduell in Hell in the Pacific mit Lee Marvin und Toshiro Mifune bis zum Auftritt von Tom Hanks in Castaway. Von überschäumender Freude bis zur tiefsten Verzweiflung, von der existenziellen Sinnsuche bis zum Buddymovie-Klamauk mit homoerotischen Schieflagen.

Man kann Swiss Army Man natürlich unterstellen, in dieser Monstrosität einen Sinn zu behaupten, wo es keinen gibt. Doch von dieser herablassenden Haltung, die die Rezeption dieses Films seit Monaten begleitet, sollte man Abstand nehmen. Denn Swiss Army Man funktioniert selbst wie ein Schweizermesser, in dem auf engstem Raum alles Wichtige drinsteckt. Oder eben wie eine Insel, auf der man sich umsehen kann. Nur verlassen sollte man sie nicht, bevor nicht auch Hank und Manny wissen, wie es weitergeht. (Michael Pekler, 15.10.2016)