Seit dem Sommer bewachen Soldaten die Botschaften, um die Exekutive zu entlasten – geht es nach Hans Peter Doskozil (SPÖ), soll im Krisenfall die Miliz die gesamte kritische Infrastruktur des Landes schützen.

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Abschiebungen mit Militärmaschine, Assistenzeinsatz im Süden: Seit Ausbruch der Flüchtlingskrise und in Zeiten steigender Terrorangst drängt der Minister auf zusätzliche Aufgaben im Landesinneren.

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Wien – Angesichts der geänderten Bedrohungslage skizziert ein hoher Militär im aktuellen Der Offizier eindrucksvoll, welche Einsätze auf die heimischen Streitkräfte – zur Unterstützung der Exekutive – bald zukommen könnten: "Beispiele wären etwa gegen Österreich gerichtete Großdemonstrationen, Gewalttätigkeiten zwischen verfeindeten Zuwanderergruppen oder Auseinandersetzungen extremistischer Formationen", schreibt Brigadier Harald Pöcher da.

Dazu liefert der Leiter der Revisionsabteilung B im Verteidigungsressort diesen Problemaufriss: "Genauso wie sich die Schulmedizin mit der Bekämpfung der ständig mutierenden Bakterien und Viren schwertut", ergehe es "den Sicherheitsexperten bei der Einschätzung der bestmöglichen Abwehrmaßnahmen gegen Terrorangriffe".

Für den Grünen Peter Pilz sind Schriftstücke wie diese ein Indiz dafür, dass auch der ehrgeizige Verteidigungsminister, einst Polizeidirektor im Burgenland und seit neun Monaten im Amt, das Bundesheer am liebsten bei fragwürdigen Anlassfällen im Landesinneren in Stellung bringen würde. "Hans Peter Doskozil will das Militär zur schweren Polizei umbauen", ist Pilz überzeugt.

Erdogan lässt grüßen

Auch angesichts eines dem Parlament übermittelten Papiers des Generalstabs, das auf Schutzausrüstung und Gruppenfahrzeuge für Crowd-and-Riot-Control-Einsätze drängt, zu denen infanteristische Kampftruppen für Assistenzen im Inland und Missionen im Ausland herangezogen werden sollen, fragt sich der Grüne, der auf die strikte Trennung der Aufgaben von Exekutive und Militär pocht: "Wann sollen diese Truppen eingesetzt werden?" Und er argwöhnt: "Bei Pro-Erdogan-Demos, die eskalieren könnten? Und als Nächstes dann bei Ausschreitungen rund um den Akademikerball?"

Abschiebungen mit Militärmaschine, Soldaten vor Botschaften, monatelanger Assistenzeinsatz im Süden: Seit Ausbruch der Flüchtlingskrise und in Zeiten steigender Terrorangst hat Doskozil dem lange dahindarbenden Bundesheer nicht nur ein höheres Budget verschafft, sondern auch neue Aufgaben im Landesinneren.

Sein jüngstes Anliegen: dass der Schutz von rund 190 kritischen Objekten bei hoher Gefahrenlage gleich als Kompetenz des Bundesheeres in der Verfassung festgeschrieben wird – wofür es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament braucht. Ebenso wie für eine automatische militärische Abwehr von Gefahren aus der Luft. Die verstärkte Zusammenarbeit der Geheimdienste versteht sich da schon von selbst.

Neue Bedrohungen, aber alte Bedenken

Dazu ein Kenner des Innen- und des Verteidigungsministers kopfschüttelnd: "Zum ersten Mal seit 1945 soll das Militär nun mit selbstständigen Sicherheitsaufgaben befasst werden – und Wolfgang Sobotka hält Doskozil dabei auch noch bereitwillig die Tür auf." Dabei hat man aus der NS-Zeit auch diese Lehre gezogen: Für die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung ist die Polizei – unter Anwendung verhältnismäßiger Mittel – zuständig, für den Außenfeind, der Land und Leute bedroht, das Militär.

Bedenken, dass es demnächst ungehorsame Teile der Zivilbevölkerung mit Soldaten zu tun bekommen könnten, weist Doskozils Sprecher Stefan Hirsch vehement zurück. "Ordnungsaufgaben des Bundesheeres bei Demos sind nicht angedacht", stellt er klar. Allfällige Crowd-and-Riot-Control-Einsätze kämen allenfalls bei einem Massenandrang von Flüchtlingen an der Grenze wie im Vorjahr in Betracht, genauso wie bei Auslandsmissionen, bei denen österreichische Soldaten im Kosovo schon unter Beschuss gerieten.

Der Schutz kritischer Infrastruktur im Krisenfall wiederum, für den es 10.000 Mann brauchte, könnte von der Miliz übernommen werden, was rechtliche Klarheit und Planungssicherheit ermögliche. Denn die Polizei täte sich schwer, im Worst Case so viel Personal aufzubieten. Hirsch: "Die Alternative wäre, dass die Exekutive 10.000 Mann aufnimmt – und damit eine schwere Polizei."

Europaweite Militarisierung

Ein Blick nach Deutschland, wo das Grundgesetz von jeher konsequent gehandhabt wird, ein 21 Jahre lang währender Assistenzeinsatz an der Grenze wäre dort nie möglich gewesen: Angesichts ständiger Terrorgefahr konstatiert dort Rafael Behr, Professor an der Polizeiakademie Hamburg, bereits "eine schleichende Militarisierung" der deutschen Exekutive. Denn beim großen Nachbarn habe man sich dazu entschlossen, Spezialeinheiten der Polizei mit den Standardgewehren der Bundeswehr auszurüsten, panzerbrechende Geschoße inklusive.

In einigen europäischen Metropolen wie Paris und Brüssel, wo islamistische Terroristen schon mehrmals zugeschlagen haben, gehören patrouillierende Soldaten mittlerweile zum Stadtbild. Den Schutz kritischer Objekte, etwa von Raffinerien, Wasseraufbereitungsanlagen, Umspannwerken, im Fall des Falles militärisch zu sichern, sieht der Polizeiexperte nicht hyperkritisch: "Besser", findet er, als wenn man "solche Aufgaben an private Sicherheitsdienste delegieren" würde. In Deutschland ist es bei einem befürchteten "Großschaden" übrigens möglich, die Umgebung als militärisches Sperrgebiet zu definieren.

Der Wiener Verfassungsexperte Theo Öhlinger verweist darauf, dass angesichts der diversen Bedrohungsszenarien aufgrund des "Islamischen Staats" (IS) die alten Prinzipien bei akuter Gefahrenlage "flexibler" gehandhabt werden dürfen. Er verweist auf Artikel 79 der Verfassung, wonach ein Einschreiten des Heeres im Land gedeckt wäre, wenn "die zuständigen Behörden durch höhere Gewalt außerstande gesetzt sind" und "bei weiterem Zuwarten ein nicht wiedergutzumachender Schaden für die Allgemeinheit eintritt".

Drohende Sicherheitslücke

Johann Frank, Sicherheitsdirektor im Verteidigungsressort, bringt die aktuelle österreichische Debatte rund um die derzeit EU-weit gewälzte Horrorvision, wonach an mehreren Orten zeitgleich Attentate drohen, so auf den Punkt: "In diesem Fall darf bei uns die Polizei, aber sie kann nicht. Das Militär kann, aber es darf nicht." Die Conclusio in Doskozils Ministerium lautet: "Das kommt einer Sicherheitslücke gleich." Und die müsse rasch geschlossen werden. (Nina Weißensteiner, 17.10.2016)