Der Haubentaucher, ein Wasservogel mit eindrucksvollem Balzgehabe, ist eine der ersten Sichtungen, die per Fernstecher näher studiert werden. Der Ornithologe Fernando (Paul Hamy) fährt mit dem Kanu durch sattgrüne Landschaften an der portugiesisch-spanischen Grenze und hält seine Beobachtungen auf einem Diktiergerät fest. Doch so idyllisch die ersten Minuten von João-Pedro Rodrigues' O Ornitólogo auch anmuten, rasch betritt der Film die fetischreiche, obskure Parallelwelt, für die der portugiesische Filmemacher seit O Fantasma (2000) mit seinem Werk einsteht.

Orientierungslos – und bald auch ohne verlässliche Identität: Paul Hamy als "O Ornitólogo" in João-Pedro Rodrigues' neuem Film.
Foto: Viennale

Denn die Wildnis ist in O Ornitólogo kein Ort, an dem sich ein stabiles Blickverhältnis aufrechterhalten lässt. Auch weitere Orientierungshilfen wie Handys versagen. Als Fernando einem Geier zu lange nachblickt, gerät er mit dem Kanu in einen Sturzbach und kentert. Rodrigues lässt uns über sein Schicksal im Unklaren und wechselt stattdessen zu einem Paar von Chinesinnen, das sich beim Pilgern am St. Jakobsweg verlaufen hat.

Eine Art Diashow bisheriger Schnappschüsse entlarvt deren Blick auf die Natur, in der es von sexuellen Konnotationen nur so wimmelt. Überhaupt ist diese in O Ornitólogo ein üppiges, triebgesteuertes Reich mit mythenähnlichen Kreaturen und verdächtigen Zeichen. Logisches Denken hilft aus diesem Dickicht nicht heraus.

Autêntico Brasileiro

Diese Erfahrung muss nicht zuletzt Fernando machen, als er sich an einem Baum gefesselt wiederfindet. Rodrigues begleitet seinen Irrweg über Prüfungen – in einer Verkehrung der ursprünglichen Anordnung werden Vögel nun zu Beobachtern, eine weiße Taube spielt gar Fernandos Geleittier. O Ornitólogo erzählt von einer Verwandlung, die eng an unmittelbares Naturempfinden gebunden ist. Die Stationen gehen lose auf jene des heiligen Antonius zurück, einen Franziskaner des 13. Jahrhunderts, den Rodrigues jedoch eher als queere Ikone betrachtet.

Sein Antonius betet nicht nur zu Fischen, sondern lässt sich auch mit einem taubstummen Hirten, der wie ein Gruß Pasolinis wirkt, am Ufer auf Sex ein. Er trifft auf amazonenhafte Reiterinnen und derwischähnliche Teufel. Durch das brillante Sounddesign – die Musik kommt von Séverine Ballon – unterstreicht Rodrigues die eindringliche Qualität seines Films.

Antonius hat einmal gesagt, dass man manche Dinge gar nicht zu verstehen versuchen soll. O Ornitólogo zeigt, wie man sie in ihrer auch befremdlichen Sinnlichkeit – in Cinemascope – aufnehmen kann. (Dominik Kamalzadeh, 20.10.2016)