Wenn ein Verfassungsrichter aus gegebenem Anlass gegen das Schweigegebot verstößt, ist die Aufregung groß. Die Nachricht, dass alle Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs parteipolitisch zugeordnet werden können, wird hingegen gleichmütig aufgenommen. Man erwartet in unserem Land offenbar nichts anderes.

Dass in einem strittigen Fall wie der Wiederholung der Bundespräsidentschaftsstichwahl ideologische Präferenzen gar keine Rolle gespielt haben sollen – weil ja ohne Eifer und Zorn streng nach dem Buchstaben der Verfassung geurteilt werden muss -, werden wohl nur die blauäugigsten Bürger dieses Landes glauben wollen. Denn die Parteibuchwirtschaft ist nicht erst seit gestern fester Bestandteil der österreichischen Realverfassung.

"Haben Sie's schon politisch versucht?", wurde ich vor dreißig Jahren bei einem Vorstellungsgespräch wegen einer Bibliothekarsstelle gefragt. – "Sie meinen, ob ich ein Parteibuch habe?" – "Das habe ich nicht gesagt." So direkt ist man bei uns nämlich nicht, das wäre unfein.

Für einen Moment zweifelte ich, ob das jetzt die Realität oder doch eher Kabarett oder ein Albtraum sei. Denn es sollte doch um Befähigung, nicht um Gesinnung gehen, nicht wahr? Schaudernd ging ich von dannen.

Als ich vor einigen Jahren dem Leiter einer großen Bibliothek von diesem Vorfall erzählte, meinte er nur schmunzelnd, auch bei ihm habe Protektion eine Rolle gespielt, in seinem Fall sei es die Fürsprache eines geistlichen Würdenträgers gewesen.

Alois Brandstetter hat in seiner Kleinen Menschenkunde glaubwürdig versichert, für angehende Lehrerinnen und Pädagogen aller Klassen sei die Frage oft nicht: "Ich habe diese Anschauung, wo kann ich hin?", sondern: "Ich will dorthin, was brauch ich da für eine Anschauung? Hier steh ich, ich kann auch anders!"

Flexibilität ...

Der Arbeitsmarkt erfordert Flexibilität, allseitige Biegsamkeit, nichts schädlicher als lästige Prinzipien. Das Fach Politische Bildung sollte als erstes Unterrichtsziel vermitteln, dass soziale Intelligenz sich in der Wahl des richtigen Parteibuchs ausdrückt, auf dass es einem wohlergehe auf Erden, im Beruf wie bei der Gemeindewohnungsvergabe.

Das Wesen der Demokratie ist der Kompromiss. Das zeigte sich zuletzt bei der Bestellung der Rechnungshofpräsidentin. Nicht der nach dem Hearing Erstgereihte wurde mit der höchsten Kontrollfunktion der Republik betraut, sondern die Kandidatin, auf die sich die staatstragenden Parteien einigen konnten. Entscheidungsbasis ist das Vertrauen auf politische Tauschgeschäfte.

Das Parteibuchsystem werde sich durch negative Auslese irgendwann sicherlich selbst abschaffen, dachte ich als junger Mensch.

... und Starrheit

Weit gefehlt! Bevor sich daran etwas ändert, geht die Sonne im Westen auf. (Günter Eichberger, 19.10.2016)