Der Mark VI war sozusagen ein Rolls-Royce Silver Wraith mit kurzem Radstand. Hier zu sehen, einer auf dem Weg ins noble Nizza.

Foto: Bentley

Der Mark VI in der Produktionsstätte in England.

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Das Zweiboxdesign taucht nun übrigens wieder auf im jüngsten Neuzugang, dem Bentayga.

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Der Bentayga ist der erste SUV in dieser abgehobenen Liga, hier zu sehen im Schauraum in Crewe.

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Die Vorstellung des Bentley Mark VI mit 4 1/4 Liter Reihensechszylinder 1946 in Crewe war ein Symbol für den Frieden. Nach Jahren der Kriegsproduktion von Spitfire-Motoren für das berühmte Jagdflugzeug kehrte im Bentley-Werk wieder die Normalität ein, endlich Autos zu bauen für eine Nachkriegsgesellschaft, die süchtig auf ein Angebot kompletter Luxusfahrzeuge wartete. Noble Autobauer, dazu zählte natürlich Bentley, lieferten in der Vorkriegszeit nur Fahrgestelle und Motoren, also den technischen Teil, der Karosserieaufbau erfolgte bei prominenten Spezialisten wie Park Ward oder Mulliner. Jedes Fahrzeug ein Unikat, auch die österreichische Prestigemarke Gräf & Stift huldigte diesem Konzept.

Der Duft des Leders

Serienfahrzeuge dagegen bedeuteten Markterweiterung, mehr Beschäftigung, höheren Ertrag. Englische Klassiker des gehobenen Premiumsegments werden noch heute mit dem Duft feinen Leders, von Holzintarsien exklusiver Sorten und mit legerem Komfort in Verbindung gebracht.

Diese Philosophie hat auch VW, seit 1998 Besitzer von Bentley, in Crewe unangetastet gelassen. Mehr als 10.000 Fahrzeuge verlassen heute pro Jahr die Produktionsstätte, aber der Charakter einer Manufaktur für exklusive Automobile blieb erhalten. Mit Akribie finalisieren englische Facharbeiter, erzogen in der Tradition ihres Standes, am Montageband die Modelle Continental, Flying Spur, Mulsanne und seit kurzem auch den SUV Bentayga, deren Karosserien aus Zwickau oder Pressburg angeliefert werden.

Hoflieferant

Die Sorge wegen dieser Zuwanderung aus dem EU-Raum ist dennoch obsolet, was hier aus der Halle läuft, ist eindeutig britische Autobaukunst: Neben dem Montageband werden im Handbetrieb die Lenkräder mit teurem Leder überzogen, die Sitze, soweit Lederbespannung bestellt wurde, ebenfalls händisch finalisiert (die Firma Boxmark aus der Oststeiermark zum Beispiel ist ein gesuchter Lieferant). Keine Überraschung, dass Bentley voll Stolz weiterhin den Status eines Hoflieferanten der Queen und des Prince of Wales betont. Eben versteigert Königin Elisabeth einen ihrer Dienstwagen, einen gepanzerten Bentley Mulsanne.

Kutschen einst und jetzt

Reich und schön geben sich in Crewe ein Stelldichein. Das bestellte Serienfahrzeug wird zu unvergleichbarer Exklusivität aufgewertet, da helfen die Experten des Hauses Mulliner. Heute spezialisiert sich dieser frühere Karosseriebauer, der schon 1748 Kutschen für das Königshaus lieferte, auf die Feingestaltung der aktuellen Bentley-Reihe. Lackierung in der Farbe des Lieblingsnagellacks? Kein Problem. 120 Farbkombinationen sind verfügbar. Einbau einer kompletten Bar in der Mittelarmlehne der Rücksitzbank? Dieses Extra wird im arabischen Raum geschätzt. Die Verdoppelung des Kaufpreises durch eine riesige Palette von Extras gehört fast zur Tagesordnung, selbst ausgefallene Sonderwünsche werden problemlos in der Kundenlounge von Crewe finalisiert, bei Bedarf auch eine Sonderserie von sieben Continental GT Speed in Anlehnung an sieben Düsenflugzeuge einer Markenstaffel.

Das Bentley-Flaggschiff trägt den Namen Mulsanne – als Brücke zu den sportlichen Genen der Marke: Mulsanne, das ist die gefürchtete Fünf-Kilometer-Gerade von Le Mans, wo 1988 eine Spitzengeschwindigkeit von 405 km/h erzielt wurde. 1924 bis 1930 siegten bei diesem 24-Stunden-Rennen die legendären Bentley Boys, gestandene Männer der englischen Oberschicht, fünf Mal mit ihrem Blower, einem 4,5-Liter-4-Zylinder mit mechanischem Kompressor und 130 PS. Aktueller Handelswert des Museumsstückes: rund 15 Millionen Pfund (ca. 16,7 Mio. €). Bentley will als Symbiose von Sport mit Luxus verstanden werden, als jüngerer Beleg dafür gilt der Doppelsieg in Le Mans 2003.

Fast shocking

Bei unserem Besuch in Crewe ergab sich noch ein kurzer Disput in der Bentley-Lounge, in der auf Fotos Rennfahrlegenden die Entwicklung ihrer Marke verfolgen. "Der Bentayga ist toll, aber ein Bentley mit Diesel, das ist trotz 435-PS-V8 fast shocking." Antwort: "Auch in Le Mans wird längst mit Diesel gefahren. Genieße unseren SUV auf den weltweiten Geländestrecken!" Darauf wieder wir: "Hat wer in Monte Carlo schon eine Offroad-Strecke gesehen?" (Peter Urbanek, 06.11.2016)