Wien – Die Regale in dem kleinen Raum reichen vom Boden bis zur Decke. Fein säuberlich sortiert liegen dort Einwegbehälter aus einem Eisgeschäft, bunte Reststoffe von einer Innendekorateurin, abgelaufene Eprouvetten aus einem Labor, dicke Schaumstoffrollen und vieles mehr. "Wie schön du immer alles sortierst", freut sich Esther Weinberger, die seit März dieses Jahres gemeinsam mit Maria Sulzer und anderen Engagierten aus dem Grätzel die Material-Koje in der Ottakringer Straße an der Grenze zwischen 16. und 17. Bezirk in Wien betreut.

Die Material-Koje sei ein "Umschlagplatz": Reststoffe aus dem Haushalt, von Firmen oder der Industrie werden dort entgegengenommen und aufbewahrt. Wer mit Abfallprodukten arbeiten möchte, etwa Künstlerinnen oder Pädagoginnen, kann sich dort welche abholen; so würden Materialien, die "zu schade sind, um im Müll zu landen", wiederverwendet, sagt Weinberger.

Maria von Usslar

Sie habe immer schon davon geträumt, ein solches Materiallager zur Verfügung zu haben. "In meiner Kindheit war das noch ganz normal, dass man die alte Kleidung auftrennt und etwas Neues daraus näht. Später habe ich gemerkt, dass mir das auch besser gefällt als die Kleidung aus neuen Stoffen", sagt die 57-Jährige.

Vor rund sieben Jahren machte sie sich selbstständig, arbeitete als Designerin und Schneiderin und merkte dabei, dass ihr das Vermitteln am meisten Spaß machte. Jetzt organisiert sie Upcyclingworkshops und Nähcafés für Kinder und Erwachsene. "Mir ist sehr wichtig zu vermitteln, dass die Ressourcen knapp und kostbar sind." Deshalb bespreche sie auch immer, wo die Materialien herkommen.

Upcycling fördere zudem die Kreativität, sagt Weinberger, die immer aus dem 21. Bezirk anreist, um ihre Workshops abzuhalten und sich in der Material-Koje zu engagieren. Kinder können bei ihr Faschingskostüme oder Masken basteln – verwendet wird dabei alles, vom kaputten Fahrradschlauch über die leere Kaffeeverpackung.

Maria von Usslar

Auch Maria Sulzer kam über den Beruf in dieses Lager. Sie gestaltet Papier- und Stoffaccessoires in einer Werkstatt im 17. Bezirk. Wenn man kreativ und handwerklich arbeite, sei es oft nicht möglich, das, was man zum Ausüben seines Berufes brauche, zu kaufen, sagt die 34-Jährige. Mit den Reststoffen könne sie die nötigen Arbeitsutensilien selbst herstellen: etwa Pinsel aus alter Baumwolle oder Trockenstapler aus nicht mehr benötigten Büchern. "Nichts ist genormt, man kann alles selber definieren." Und es sei sparsamer, denn viele Hilfsmittel brauche sie sowieso nur temporär.

Die Material-Koje ist ein Projekt des Vereins Recyclingkosmos, der 2011 gegründet wurde, als die Oberfläche der Ottakringer Straße neu gestaltet wurde. "Da entstand unter den Anrainern die Idee, sie zu einer Reparatur- und Recyclingstraße zu machen", erzählt Weinberger. Der Verein bemüht sich seither darum, dass sich entsprechende Betriebe in den Leerständen ansiedeln – zum Teil ist das schon gelungen: Der Reparatur Tischler, das Faltrad, wo Räder verkauft und repariert werden, ein AFB-Shop für gebrauchte Computer sowie eine Foodcoop zogen ins Grätzel ein. In der Material-Koje standen früher zwei einarmige Banditen. Das kleine Gassenlokal hatte seit dem Verbot des kleinen Glücksspiels leer gestanden.

Neben Upcyclingworkshops – wie Möbelbauen aus Paletten – organisiert der Verein auch Textilworkshops und Reparaturcafés oder Themenabende für Pädagoginnen, um der Frage nachzugehen, wie Re- und Upcycling in der Schule thematisiert werden können. Acht Personen machen beim Verein aktiv mit, etwa 30 Mitglieder gibt es insgesamt. Weinberger und Sulzer wünschen sich, dass die Material-Koje bald "zu klein wird, wir etwas Größeres brauchen und mehr Leute mitarbeiten". Dann könnte man etwa auch Betriebe und Firmen aktiv "abklappern", um leere Reis- und Kaffeesäcke oder Planen abzuholen. (Text: Christa Minkin, Video: Maria von Usslar, 2.11.2016)