Halloween ist sein Alltag: Robert Smith von The Cure.

Foto: Christian Fischer

Wien – Zu den ikonografischen Popkulturbildern der 1980er-Jahre gehören die Silhouetten der Reid-Brüder Jim und William. Das waren zwei bleiche Schotten mit schlechten Zähnen, die der Band The Jesus and Mary Chain bis heute vorstehen. In den 1980ern reichte ihr Schattenwurf aus, um sie zu erkennen. Dünne Beinchen, um die Mitte der Umriss großer Gitarren, schmale Schultern, darüber etwas, das aussah, wie ein in den Stromkreis gekommener Wischmob. Es waren die auf Kosten des Ozons hochgesprayten Haare der beiden.

Fast denselben Schatten warf und wirft Robert Smith. Nur dass der immer schon etwas rundlicher gebaut war. Dazu kam Schminke. Kajalstrich um die Augen, Rot an den Lippen. Obenauf war ein schwarz gefärbter Wirbelsturm aus Haaren und Spliss, im Mundwinkel oft ein Glanzpunkt, so als würde er unfreiwillig speicheln. Robert Smith, Chef der britischen Band The Cure, Popstar, machte Halloween zu seinem Alltag.

Die Horrorclowns um drei Jahrzehnte vorwegnehmend, war er eine Gottheit in der Subkultur der Gruftis. In England nannte man diese Dead Punks oder Gothics. Meist junge Menschen, die, bevor sie doch lieber Wirtschaft studierten, am Friedhof Charles Baudelaire rezitierten und Rotwein aus dem Tetrapak soffen. Todessehnsüchtig und total arg. Ihresgleichen erkannten sie an künstlich hergestellter Bleiche im Antlitz, schwarzer Garderobe. Die Gestalt eher körperfeindlich, ein wenig uneins mit sich selbst und den vermeintlichen physischen Defiziten. Da tat einer wie Robert Smith gut. Der war wie sie, sang dunkelromantische Popsongs über die Einsamkeit, unerfüllte Liebe, die Isoliertheit der Unangepassten. Selten wild, eher passiv-aggressiv, gern pampig.

Zuerst etwas kuscheln

Nach langen Jahren der Absenz stand Robert Smith, 57, mit The Cure am Mittwoch wieder auf einer heimischen Bühne. In der ausverkauften Marx-Halle in Wien spielten The Cure einen üppigen Ausschnitt ihres 13 Alben umfassenden Katalogs.

Angesichts des Vorhabens begann die fünfköpfige Band mit ruhigeren Liedern, Plainsong, Pictures Of You und Closedown. Quasi zur Einstimmung ein bisserl in der Atmosphäre kuscheln, einmal "Hello!" sagen. Da standen sie aufgefädelt, Smith in der Mitte, flankiert vom ergrauten Gitarristen da und dem Keyboarder dort, im Rücken den Drummer. Nicht ins Bild passte Simon Gallup, das zweite Urgestein der Band.

Der auf Rockabilly stilisierte Bassist gab sich einem mit dem Rest der Band inkompatiblen Bühnenexpressionismus hin. Während Smith und Co traditionell stoisch bis immobil arbeiteten, durchmaß Gallup die Bühne, als laute sein Auftrag, Van Halen zu begleiten. Nun war er zwar optisch schwer zu ertragen, akustisch aber Gold. Denn der Bass ist wichtig bei The Cure.

Die 1976 in Südengland gegründete Band war eine der erfolgreichsten britischen Bands des Post-Punk, der Bass als grimmiger Tiefstapler der Kontrapunkt zu den sphärischen Synthesizersounds und Smith verlorenem Gesang. Anders als ähnliche Fürsten der Nacht besaßen The Cure ein besonderes Talent für eingängige Melodien und prächtige Popkleinode. Eine Eigenheit, der selbst die starre Darbietung kaum etwas anhaben konnte.

Tolle Songs und Fressbuden

Mit The Walk ging es früh in die Disco, A Night Like This oder Charlotte Sometimes schmachteten vorschriftsmäßig, bei Just Like Heaven sang gar der Saal mit. Zumindest in jenem Teil, der nicht vom Odeur der Fressbuden kontaminiert war. Alles brav und nett, aber ohne höhere Ambitionen dargeboten, ohne besonderen Druck, Routine.

Natürlich hat die Band den Vorteil, viele tolle Songs zu haben. Also selbst wenn das Wachkoma drohte, kam wieder ein Song, der einen rührte, mit dem sie einen doch wieder erwischten. Gut 30 Lieder sollten es am Ende sein, eine Schlachtplatte, ein Menü mit drei Hauptspeisen.

Ergäbe ein Brief ans Christkind Sinn, würde man sich ein halb so langes, doppelt so engagiertes Konzert wünschen. Aber natürlich ist man mit dem Soundtrack der eigenen Jugend nie so streng. Weshalb der Saal, gefüllt von drei Generationen Publikum, trotz Abwanderungstendenzen ab der Hälfte der Show, seinem Idol die Treue hielt. Alte Liebe ist geduldig, für eine neue reicht so eine Darbietung nicht. (Karl Fluch, 27.10.2016)