"Looking in a camera I feel always fearless": Haskell Wexler und Pamela Yates auf dem Set von "Latino" in Nicaragua, 1984.

Foto: Viennale

"This is my view of what the truth is." Dass man mit der Kamera die Wirklichkeit einfangen könne, daran hat er nie geglaubt. Oder zumindest nicht jene Wirklichkeit, die er vor Augen hatte. Vielmehr sei jeder Dokumentarfilm – und vor allem jeder politische Dokumentarfilm – vom persönlichen Blick des Filmemachers geprägt, von seiner eigenen Perspektive auf die Verhältnisse.

Der im vergangenen Dezember verstorbene Haskell Wexler besaß als Kameramann und Regisseur einen solchen Blick. Und er besaß die Überzeugung, mit dieser Sicht auf die Dinge etwas bewegen zu können, etwas anzustoßen, und zwar vor allem in seiner Heimat, den Vereinigten Staaten. In der emotionalsten Szene von Rebel Citizen fragt ihn die Filmemacherin Pamela Yates, ob er sich als Patriot fühle. "Absolutely", antwortet Wexler, "and I would like to be considered as nothing else." Ehe ihm die Stimme versagt und seine Augen zu glänzen beginnen. In diesem Moment spürt man, welcher Schmerz aus vergangenen Tagen bis zuletzt in diesem Mann gesteckt haben muss – der Schmerz darüber, in den Augen vieler kein guter Amerikaner gewesen zu sein. Es sollte sein letztes Interview sein.

"Absolutely" ist ein Wort, das man in Rebel Citizen öfter zu hören bekommt. Es ist Ausdruck von Wexlers Überzeugung, stets das Richtige getan zu haben. Ob er in Interviews with My Lai Veterans (1970, mit Joseph Strick) fünf US-Soldaten filmte, die den Angriff auf das vietnamesische Dorf schildern, der in einem Massaker endete, oder ob er in Brazil: A Report on Torture (1971) Aktivisten vor die Kamera holte, um mit ihnen die Folter nachzustellen, der sie – unter Beteiligung der CIA – ausgesetzt waren: Haskell Wexler trachtete mit seinen eigenen politischen Arbeiten stets danach, das Bewusstsein der amerikanischen Öffentlichkeit für die eigene Verantwortung zu schärfen.

Das Wichtige nebenbei

In diesem Sinn ist auch mit Rebel Citizen weniger ein Porträt über Wexler entstanden als eine Art persönliches Vermächtnis. Denn der Großteil des Films besteht aus einem Interview, das Yates mit ihm in einem unscheinbaren Wohnzimmer geführt hat; diesem Interview hat sie diverses Archivmaterial beigefügt. Doch die Ausschnitte aus den bekanntesten Arbeiten, etwa aus Mike Nichols' Ehemelodram Who's Afraid of Virginia Woolf?, für das Wexler 1967 den Oscar erhielt, stellen eine Ausnahme dar. Rebel Citizen konzentriert sich hingegen ganz auf Wexlers politische Agenda, die er sich als linksliberaler Regisseur mit seinem Hollywoodsalär finanzieren musste.

Geboren 1926 in Chicago, arbeitete er zunächst für kleinere Fernsehstationen und drehte kurze Dokumentationen für Gewerkschaften, ehe er nach Los Angeles übersiedelte und von Elia Kazan für America, America (1963) engagiert wurde. Wexler drehte in der Folge für Milos Forman (One Flew Over The Cuckoo's Nest), Terrence Malick (Days of Heaven) und John Sayles (Matewan). Doch sein Opus magnum sollte jener Film sein, mit dem er – rund um den Parteitag der Demokraten in Chicago 1968 – seine eigene Rolle als Kameramann hinterfragte. Und in Medium Cool fällt auch jener legendäre Satz, der sein Schaffen auf den Punkt bringt: "Look out, Haskell, it's real", ruft ihm ein Crewmitglied durch die Tränengaswolke zu. Und das war die Wahrheit. (Michael Pekler, 31.10.2016)