Ang Babaeng Humayo, Lav Diaz, 2016

foto: viennale
ABS-CBN Star Cinema

Under the Shadow, Babak Anvari, 2016

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Zero Media

Homeland (Iraq Year Zero), Abbas Fahdel, 2015

foto: viennale

Und immer noch klappt alles: das Wetter, die Versorgung mit Dragee-Keksi, die Film-Bilanz ist positiv. Angeblich ähneln meine nächtlichen Geräusche dem zufriedenen Schnurren eines Tigers. Na ja. Im Kino wären solche Laute wahrscheinlich irritierender.

Regelmäßig bei der Viennale zu sehen: die Filme des philippinischen Regisseurs Lav Diaz. Für "Ang babaeng humayo" (The woman who left) erhielt er den Goldenen Löwen. Zu recht, er besticht auch durch eine grandiose Hauptdarstellerin. Die (sonst) bildhübsche 61-jährige Schauspielerin, Produzentin und bis 2016 Präsidentin der ABS-CBN Broadcasting Corporation, Charo Santos, spielt in diesem bestechenden Schwarzweißfilm eine zu Unrecht wegen Mordes verurteilte Frau, die nach 30 Jahren freikommt.

Santos ist kaum wiederzuerkennen in der Rolle der schlichten Lehrerin, deren Doppelleben und Gewaltbereitschaft sich erst nach und nach offenbart. Das Viennale-Programm bezeichnet die Haltung, mit der sie durch den vierstündigen Film geht, sehr treffend als "gebrochene Entschlossenheit". Spannend bis zum melancholischen Ende!

Bei Lav Diaz spielen Dämonen eine Nebenrolle, hingegen Geister eine wichtige in "Under The Shadow", dem ersten Langfilm des 1983 in Teheran geborenen Babak Anvari. Der Film hatte Premiere beim Sundance Film Festival und war als britischer Beitrag (!) für die 89. Academy Awards nominiert. Ein "klassischer" Horrorfilm in einem Setting, das die bedrohlichen Erscheinungen allzu real umkleidet: Teheran im Iran-Irak-Krieg (1980-1988).

Anvari, inspiriert von Polanski und Kiarostami, verarbeitet darin autobiografische Elemente, vor allem die Albträume, die ihn seit den Kriegstagen bis jetzt quälen. Gleichzeitig wollte er mit der Figur der jungen Frau, die während der Raketenangriffe allein in der Wohnung zurückbleibt – die übrigen Bewohner sind inzwischen geflohen –, seiner Mutter ein Denkmal setzen. Effektvoller Horror, sublim eingesetzt. Jedem sein eigenes Gespenst – darüberhinaus das reale Ungeheuer für alle.

Dann der Film, dessen Wucht, Prägnanz und Eindringlichkeit alle bisherigen an die Wand zu drängen droht: "Homeland (Iraq Year Zero)" des irakisch-französischen Regisseurs Abbas Fahdel. Schon der (Unter-)Titel kündigt dem, der Rosselinis "Allemaghe année zéro" kennt, an, dass am Schluss ein Kind sterben wird. Familiäre Privatheit und Weltgeschehen umschlingen einander.

Zunächst die Gewissheit, dass da ein Krieg kommen wird – nie war das so unausweichlich wie in den Monaten vor dem Desert Storm. Zwischen Lähmung und Trotz bewegt sich das Leben in Familie und Nachbarschaft in immer noch intakten Strukturen. Die zweite Hälfte des Sechs-Stunden-Opus dann nach dem Einzug der Bush-Krieger. In völligem Chaos und mit der Gewissheit, dass es ganz übel enden wird.

Was das Allgemeine betrifft, weiß es der Zuschauer ja, wenn er die heutige Situation im Irak vor Augen hat. Für das Schicksal der Einzelnen wird es durch einen bewusst eingesetzten Spoiler quälend früh deutlich. Dinge, die man schon vorher verstanden zu haben glaubt – etwa, dass die vollständige Säuberung der Gesellschaft von Baath-Elementen zur Vernichtung der staatlichen Strukturen führte – werden sichtbar gemacht, und mit viel größerer Intensität begreifbar, erlebbar. Solche Filme sind es, die für mich den eigentlichen Sinn eines Festivals ausmachen. Wo sonst sollte man ihnen begegnen können? (Thomas Leitner, 30.10.2016)