Schauspieler Philipp Hochmair in einem Anzug von Fendi, fotografiert von Irina Gavrich. (Bilder von Myles Starr)

Foto: Irina Gavrich

Der Wiener Schauspieler Philipp Hochmair in einem Rolli von Etro und einem Pulli von Calvin Klein Collection.

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Der Mantel ist von Etro, die Hose von Zegna, und die Schuhe sind von Salvatore Ferragamo.

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Hochmair in einem Hemd von Dries Van Noten, die Hose und der Pelzkragen sind von Giorgio Armani, die Schuhe sind seine eigenen.

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Der Schal und das Seidenhemd sind von Bottega Veneta, die Schuhe von Salvatore Ferragamo, der Pelzkragen ist von Giorgio Armani und die Hose von Burberry Prorsum.

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Auf diesem Bild trägt Philipp Hochmair einen Rolli und eine Hose von Etro.

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Philipp Hochmair in einem Anzug von Fendi.

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Ein Menschenfilm, sagt Philipp Hochmair. Kein Schwulenfilm. Der Schauspieler streift sich durch die Haare und schaut für einen Moment noch zerzauster aus. Der Blick wandert unruhig durch die Hotellobby. Ob man wisse, wie man diese Datei öffnen kann. Ein ums andere Mal zieht er auf seinem Laptop ein File in den Download-Ordner. Philipp Hochmair ist in der Stadt, um über seinen neuesten Film zu erzählen. "Kater" von Händl Klaus. Eine Ballade über zwei Musiker, die sich in der Vorstadt ihr Idyll geschaffen haben. Samt knisterndem Kamin, Gartenlaube und einer langen Tafel, an der sie ihre Freunde bewirten. Zwei Männer, doch das spielt in diesem Streifen keine Rolle.

Ein Menschenfilm, wiederholt Hochmair, kein Schwulenfilm. Wieder streift sein Blick durch die Lobby des Hotels. In zwei Tagen muss er in Hamburg den Werther spielen, zwei Tage später den Jedermann am Berliner Ensemble. Das Telefon klingelt. Es geht um die letzten Vorbereitungen für die Vorstellung. "Du bist der Einzige, auf den ich mich verlassen kann", ruft er seinem Techniker Hans emphatisch ins Smartphone. "Ich liebe dich!"

Seitdem Hochmair sein festes Engagement in Hamburg verlassen hat, ist er Schauspieler und Manager in Personalunion. Sein eigenes Kindermädchen sozusagen. Die Vorstellung in Berlin wurde als Zusatzvorstellung in den Spielplan eingeschoben. Doch die Karten verkaufen sich schleppend. Also muss Manager Hochmair noch schnell ein Radiointerview für den Schauspieler Hochmair organisieren. Seit 1997 spielt Hochmair den Werther. Seit vier Jahren den Jedermann.

Zuschauer kreischen

Zwei von fünf Soloabenden, mit denen der 1973 in Wien geborene Schauspieler durch die Lande tourt – und die Zuschauer regelmäßig zum Kreischen bringt. Ob man von der Aufführung des "Werther" im Thermalbad Bad Vöslau in diesem Sommer gehört habe? Hochmair greift zum Computer und spielt einen Youtube-Clip ein. Strömender Regen. Statt im Bad spielt Hochmair auf einem Wirtshaustisch. Er reißt sich die Kleider vom Leib, ballt die Fäuste in der Luft. "I want to go back to my Lotte!", schreit er in den Gastraum. Zum Finale läuft er raus und springt nackt ins Wasser.

"Was für ein Abend!", sagt er. Beinahe hat man das Gefühl, dass er ihn am liebsten hier und jetzt wiederholen würde. In der Hotellobby. Inmitten der Businessmenschen.

Hochmair ist das, was man eine Rampensau nennt. Ein "Theatertier" und einen "Körperterroristen" hat man ihn genannt. Einer, der immer in Bewegung sein muss und doch nie an ein Ziel gelangt. Ausgebildet am Max-Reinhardt-Seminar (Klaus Maria Brandauer war sein Lehrer), landete er schon bald im Burgtheater. Sechs Jahre hielt es ihn dort, dann wechselte er ans Hamburger Thalia. Auch dort wurde er nicht sesshaft und stieg 2014 aus seinem Vertrag aus.

Seitdem wechseln seine Soloabende mit Filmengagements ab. "Ich halte die Trägheit dieser Theater-Apparate nicht mehr aus", sagt er und schiebt wie als Beweis ein dreifaches Nein hinterher. Feste Bindungen? Sie geht Hochmair lieber auf der Bühne oder Leinwand als im richtigen Leben ein.

Andreas heißt Hochmair im Erstlingsfilm des Tirolers Händl Klaus. Er trägt Pullunder und Karohemd und lebt mit seinem Musikerfreund Stefan ein Leben, das Hochmair wahrscheinlich Albträume bescheren würde. Zu idyllisch, um wahr zu sein. Zwei Männer, die durch einen Vorfall auseinandergerissen werden. Es aber wieder zueinander schaffen. Bei der heurigen Berlinale wurde "Kater" mit dem Teddy-Award ausgezeichnet, beim Filmfestival in Hongkong mit dem Preis der Jury.

Text ist Untertan

Eine große Ruhe durchzieht den Film, eine große Zärtlichkeit. Ein Liebesfilm, so behutsam und filigran, wie man schon lange keinen mehr gesehen hat. Ein ganz anderer Hochmair ist hier zu erleben als jener auf der Bühne. Für einen Moment senkt Hochmair seine Stimme, erzählt er von den Liebesszenen. Ob schwul oder hetero, das sei ihm egal. Der Kater war das Problem. "Es hat Ewigkeiten gedauert, bis er gemacht hat, was wir wollten." Das Tier steht im Mittelpunkt des Films, im symbolischen Zentrum der Beziehung.

Auf der Bühne macht sich Hochmair den Text am liebsten Untertan, in "Kater" nimmt er sich dagegen zurück. Ein kurzer Augenaufschlag, eine leichte Berührung, ein leises Wort. "Theater ist Leistungssport für mich", sagt er, "Film ist Fotografie." Ganze eineinhalb Jahre lang dauerten die Dreharbeiten, bis zu 50 Takes pro Szene wurden gedreht. Parallel dazu stand Hochmair für die "Vorstadtweiber" vor der Kamera. Eine wahnsinnige Zeit sei das gewesen, sagt er, acht Wochen lang habe er keinen freien Tag gehabt.

Er greift in seine Tasche und holt einen Flyer von den "Vorstadtweibern" heraus. "Ihr Mann für die Zukunft" steht drauf, und "Ja zu Joachim Schnitzler". So heißt jener Politiker, dem Hochmair im Serienerfolg des österreichischen Fernsehens sein Gesicht leiht. Auch Schnitzler ist homosexuell, im Unterschied zu Andreas aber nicht geoutet. "Er ist der Böseste von allen in der Serie." Ein Machtmensch, der andere über die Klinge springen lässt – und Hochmair einem breiten Publikum bekanntgemacht hat.

"Plötzlich werde ich auf der Straße erkannt", sagt der Schauspieler und schaut sich in der Hotellobby um. Bereits am Burgtheater war Hochmair ein veritabler Star, dort stemmte er in den Inszenierungen von Nicolas Stemann monströse Jelinek'sche Textmassen ("Das Werk", "Babel"), dort gab er Handkes abendfüllendes Solo "Untertagsblues". Wann immer ein Schauspieler gesucht wurde, der sich auf schwierige Projekte ohne festgeschriebene Rollen einlassen wollte, Hochmair war zur Stelle. Er wechselte seine Rollen wie andere die Kleider, wühlte sich durch Textflächen, sprang und hüpfte und wirbelte über die Bühne. Oft in Kostümen und immer wieder nackt. Theater als Exzess.

Doch das Ensembleleben ist vorbei. Noch immer zieht Hochmair zwar mit Kafkas "Amerika" durch die Welt (2012 spielte er den Monolog sogar im Hamburger Wohnzimmer des mittlerweile verstorbenen Altbundeskanzlers Helmut Schmidt), er gibt den Faust und den Werther und seine Version des Jedermann als Rockstar. Die Welt der elitären Hochkultur hat er aber gegen eine eingetauscht, in der die Scheinwerfer noch etwas greller leuchten.

Jamben im Adamskostüm

"Ich bin wie ein Fernsehkoch, der vor Zuschauern kocht", sagt er. Statt Palatschinken gibt es bei ihm Hexameter mit Luftsprüngen und Jamben im Adamskostüm. Das Bild des genialischen Künstlers kultiviert der Schauspieler mit besonderer Leidenschaft. Gerne ist er ohne Schuhe unterwegs – ob auf der Straße oder im Fernsehstudio, ist dabei egal. "Das hat mit einem Kasperl nichts zu tun", sagt er und erzählt dann sein Erweckungserlebnis als Schauspieler.

Als seine Klasse in der Englischstunde Francis Ford Coppolas "The Outsiders" anschaute, hielt die Lehrerin das Video an und sagte, sie sei sicher, dass in der Klasse keiner ein Gedicht auswendig weiß. Hochmair war damals 17. Er sprang auf und deklamierte Goethes "Totentanz" von der ersten bis zur letzten Zeile. "Dazwischen hat die Pausenglocke geläutet, aber niemand ist aufgestanden."

Ab diesem Zeitpunkt wusste Hochmair, in welcher Rolle er sich am wohlsten fühlt: im Zentrum der Aufmerksamkeit, alle Blicke auf sich gerichtet. Wie in seinen Soloabenden ist Hochmair am liebsten sein eigener Regisseur. Den "Jedermann" erarbeitete er zwar vor nunmehr dreieinhalb Jahren bei den Salzburger Festspielen gemeinsam mit dem Regisseur Bastian Kraft (unter dem Titel "Jedermann Reloaded"), mittlerweile führt der Abend aber ein Eigenleben. Beim "Werther" (seinerzeit ein Projekt mit Nicolas Stemann) ist es nicht viel anders. Wie zum Beweis klappt Hochmair noch einmal seinen Computer auf und zeigt die Ursprungsversion. Die Menschen, die sich den Abend heute anschauen, waren bei der Premiere 1997 teilweise noch nicht einmal geboren.

"Ich bin ein unsteter Mensch", sagt Hochmair. Er selbst müsse sich weiterentwickeln, seine Abende müssten sich weiterentwickeln. Die Stimme des Schauspielers wird lauter: "Ich will ein Leben jenseits der Verbotsschilder führen!" Ein Satz, der sich auch auf der Bühne gut machen würde.

Jetzt geht es aber erst einmal darum, die Dateien am Computer aufzubekommen. (Stephan Hilpold, RONDO, 4.11.2016)