Ein Mosaik unter Wasser. Sanfter Wind kräuselt die Oberfläche. Figuren werden langsam erkennbar, Vögel, rote Sterne. Man kann in dieses Bild eintauchen, in ihm ausruhen. Doch nur so lange, bis die Kamera den Blick auf den saalartigen Raum, einem Amphitheater gleich, freigibt. Man befindet in einer Ruine, die kunstvoll mit gläsernen Mosaikfliesen ausgestaltet ist. Dass dieser Raum einer vergangenen Zeit entstammt, merkt man nicht nur daran, dass er seinen eigentlichen Zweck schon seit Jahren nicht mehr erfüllt. Sondern auch daran, dass die auf einer Wand im Hintergrund auftauchende kommunistische Dreifaltigkeit zumindest der Zerstörung durch die Natur getrotzt hat.

Mit diesem Bild beginnt Homo Sapiens seine Zeitreise, die in die Vergangenheit zurückblickt und doch immer in der unmittelbaren Gegenwart verankert bleibt. Es ist ein Film über Orte, aber ohne einen einzigen Menschen, denn es sind Schauplätze, an denen die Zivilisation zwar ihre Spuren hinterlassen, sie aber aus den unterschiedlichsten Gründen dem Verfall preisgegeben hat. In den meisten Fällen wohl deshalb, weil diese Orte ausgerechnet das verloren haben, worauf der Homo sapiens seinen Erfolg bis heute gründet – auf ihren Nutzen.

Foto: stadtkino

Nikolaus Geyrhalter ist ein Filmemacher, in dessen Arbeiten die Zeit immer schon eine wesentliche Rolle gespielt hat. In seiner vorangegangenen Langzeitstudie Über die Jahre begleitete er Arbeiter vor und nach der Schließung einer Waldviertler Textilfabrik und dokumentierte mit großem Feingefühl, wie sehr sich Schicksal und Alltag von Menschen mit jenem eines Gebäudes verbinden. Am Ende konnte man jungen Künstlern beim Versuch zusehen, die aufgelassene Fabrik in neuer Funktion zu revitalisieren.

Dystopische Mahnmale

In Homo Sapiens ist die Zeit – und damit die Vergänglichkeit – in die Bilder selbst eingeschrieben. Nicht nur in das einer stillgelegten Fabrik, sondern in jene von unzähligen anderen Orten, die irgendwann für das Allgemeinwohl errichtet wurden: überwucherte Bahntrassen, aufgelassene Theatersäle, ein zugewachsener Spielplatz. In einem mit Scherben übersäten Bürogebäude entdeckt man eine Kaffeetasse auf dem Schreibtisch, in einem Hallenbad erfüllt ein mitten im Kinderbecken aufgestellter Elefant seine Aufgabe nur noch als trauriges Relikt.

Geyrhalter hat diese Orte in aller Welt gefunden und – wie immer als sein eigener Kameramann – in den für ihn typischen langen, statischen Einstellungen festgehalten. Bis man nach einen harten Schnitt zum nächsten Schauplatz wechselt. Mit wundersamem Effekt: Kontemplation und Überraschungsmoment gehen in Homo Sapiens beeindruckend einher.

Und es ist ein Film, der über seine Schauplätze eigene Denkräume öffnet: Man kann sich an diesen Orten noch die Menschen vorstellen, die hier arbeiteten, sich vergnügten, spielten, badeten oder auch krank in den Spitalsbetten lagen. Manche Räume wirken fluchtartig verlassen, gerade so, als ob die Zivilisation wie in einem dystopischen Science-Fiction-Film von einem Augenblick zum nächsten gezwungen worden wäre, den Rückzug anzutreten. Andere strahlen eine sakrale Ruhe aus, die nur noch durch Wind, Sonne oder Wasser gestört wird.

Wo die menschlichen Gebete verstummt sind, vernimmt man den Flügelschlag einer Taube: Nikolaus Geyrhalters "Homo Sapiens" ist auch ein Hörfilm
Geyrhalterfilm

Homo Sapiens ist aber auch Film, den man hören sollte. Denn was diese Orte darüber hinaus verbindet, ist eine Art gemeinsamer Atem, den man in den Tönen und Geräuschen vernehmen kann. Der Flügelschlag einer Taube in einer Kirche hallt nach in einem als Mahnmal in den Himmel ragenden Atommeiler. Dass Geyrhalter dabei zum Zwecke der Perfektionierung fast ohne Originalton arbeitet und stattdessen jedes Bild mit eigens aufgenommenen Tönen unterlegt, ist mehr als ein schlauer Kunstgriff: Es ist ein menschlicher Eingriff im Dienste des völligen Rückzugs des Menschlichen. (Michael Pekler, 1.11.2016)