In einem an Fakten ohnehin armen Wahlkampf überrascht weniger die Tatsache, dass einmal mehr nicht die Fakten zählen. Verblüffend ist an den aktuellen Ereignissen vielmehr, wer sich nicht darum schert: Fast eine Woche ist vergangen, seit FBI-Chef James Comey dem US-Kongress in einem rätselhaften Schreiben mitgeteilt hat, dass seine Fahnder erneut auf E-Mails gestoßen seien, die für Ermittlungen in der Affäre um Hillary Clintons privaten Server "relevant" sein könnten. Und weiterhin bleibt unklar, was es damit überhaupt auf sich hat.

Dass das FBI nun auch noch einen alten Untersuchungsbericht zu einem umstrittenen Gnadenerlass von Clintons Ehemann, Ex-Präsident Bill Clinton, für den Steuerflüchtling Marc Rich veröffentlichte, steigert die Nervosität im Clinton-Lager: Dort glaubt keiner mehr daran, dass der Zeitpunkt der Veröffentlichung Zufall ist. Die Fälle sind unterschiedlich zu bewerten, das Timing aber ist zumindest auffällig. Beides passt erstaunlich gut in das Bild der geldgierigen, korrupten Politikerin, das ihr Konkurrent Donald Trump so gern von Hillary Clinton zeichnet.

Zwar erweckte Comey den Eindruck, es werde gegen Clinton ermittelt, gelesen allerdings hatte seine Behörde die E-Mails zu dem Zeitpunkt offenbar noch nicht: Die Erlaubnis dazu hat das FBI nämlich laut "Washington Post" erst am Sonntag erhalten. Die Zeitung berichtet außerdem unter Berufung auf Mitarbeiter des FBI, dass zahlreiche der fast 650.000 E-Mails nichts mit Clintons "E-Mail-Gate" zu tun haben dürften.

"Fahrlässig", aber nicht kriminell

Das FBI hat schließlich bereits einmal in der E-Mail-Affäre ermittelt, weil Clinton während ihrer Zeit als Außenministerin sämtliche Dienst-E-Mails über einen privaten Server abgewickelt hatte. Das war nicht dezidiert verboten, aber dennoch fragwürdig. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch das FBI, als es Clinton gewissermaßen freisprach: Ihr Vorgehen sei "extrem fahrlässig", aber nicht kriminell gewesen, ließ Comey selbst die Öffentlichkeit im Juni wissen.

Nun sind auf dem Computer einer dritten Person weitere Clinton-E-Mails aufgetaucht. Und natürlich muss das FBI auch diese Kommunikation untersuchen, den Schritt selbst stellt deshalb niemand infrage. Dass der Chef allerdings trotz dünner Faktenlage und entgegen einer Richtlinie des Justizministeriums, wonach staatliche Behörden nicht in die Endphase des Wahlkampfs eingreifen dürfen, genau das getan hat, erbost zu Recht nicht nur Clintons Wahlkampfteam. Comey hat weniger als eine Woche vor der Wahl aus dem Kampf ums Weiße Haus wieder ein Kopf-an-Kopf-Rennen gemacht.

Keine neuen Erkenntnisse

Auch bei dem jüngst veröffentlichten Untersuchungsbericht stellt sich die Frage, ob es sich bei dem Veröffentlichungszeitpunkt um einen Zufall handelt. Die Amnestierung durch Bill Clinton hatte seinerzeit für Argwohn gesorgt, weil Richs Ex-Frau Denise zuvor großzügig an die Clintons und die Demokratische Partei gespendet hatte. Die Kritik in dem vom FBI veröffentlichten Bericht dreht sich vor allem um Formalitäten: Im Zentrum steht die Aussage des für Begnadigungen zuständigen Staatsanwalts Roger Adams, dass Bill Clinton dabei dem vorgeschriebenen Prozedere nicht gefolgt sei. Adams hätte ein Ansuchen auf Begnadigung erhalten müssen. Neue Erkenntnisse gibt es keine.

Dass das FBI wiederum noch vor der Wahl seine Untersuchung zu der neuen E-Mail-Affäre abschließen wird, ist unwahrscheinlich. Zwar weiß Trump noch weniger über die E-Mails als Comey, das spielt allerdings keine Rolle: Er braucht den Inhalt nicht zu kennen. Comey hat Trump bereits das größte Geschenk gemacht, um weiterhin mit düsteren Verschwörungstheorien gegenüber Clinton punkten zu können. (Anna Giulia Fink, 2.11.2016)