Wie lebt man nach der Katastrophe? In "Kater" ist dieses Weiterleben ein Kraftakt, den Philipp Hochmair (li.) und Lukas Turtur erst bewältigen müssen.

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Das friedliche Miteinander brechen: Händl Klaus.

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Es ist ein erfülltes, harmonisches Leben, das die beiden Musiker Andreas (Philipp Hochmair) und Stefan (Lukas Turtur) am Rande Wiens in einem schönen Haus mit Garten führen. Sie arbeiten als Musiker und Disponent im gleichen Orchester, sie teilen denselben Freundeskreis und genießen die Idylle. Und dann gibt noch den Kater Moses. Doch plötzlich erfährt ihre Beziehung einen schweren Bruch. Alles ist möglich. Offen. Auch die Herzen.

STANDARD: Sie haben einmal gemeint, Sie würden aus Sehnsucht schreiben. Ist das noch immer so?

Händl: Natürlich. Das Schreiben für Komponisten stillt diese Sehnsucht. Filme passieren ja nur alle paar Jahre. Aber ich drehe auch aus Sehnsucht Filme.

STANDARD: Einer Sehnsucht wonach?

Händl: Sehnsucht nach dem Miteinander. Nach Begegnung und Nähe. Auch nach Nähe zum Tod, den die Musik ja durchdringt. Ich schreibe ja wirklich immer vom Sterben. Oder von Toten, die noch am Leben sind, im Leben der anderen. Und da bin ich nicht mit mir allein, es gibt ja diese Musik von Beat Furrer oder Heinz Holliger oder Klaus Lang. Die ich im Schreiben spüre als etwas Fremd-Vertrautes, auf das gehe ich zu, und dann löst es sich ein. So ist das auch mit dem Schreiben am Drehbuch. Eine Suchbewegung, die immer konkreter wird.

STANDARD: Kann die Sehnsucht auch zu einer falschen Idylle führen? In "Kater" lebt das Paar in Harmonie, doch dann gibt es diesen radikalen Bruch, wie so oft in Ihren Arbeiten. So als ob die Idylle nicht mehr auszuhalten wäre.

Händl: Es stimmt, das war bereits im allerersten Prosaband, (Legenden), so brüchig. Ich kann auch der Idylle nicht trauen. Dass man dieses friedliche Miteinander haben kann. Es ist immer bedroht. Deshalb muss ich im Schreiben vorsorglich damit brechen.

STANDARD: Diese Brüche geschehen scheinbar aus dem Nichts.

Händl: So erlebe ich es. Ich kann mich nicht vorbereiten auf die Katastrophe. Ein falscher Schritt, oder eine Ader reißt, und weg ist das Gewohnte. Nur selten geschieht es langsam und in aller Gründlichkeit, in Cristi Puius Der Tod des Herrn Lazarescu oder, ein anderer Lieblingsfilm, Das Irrlicht von Louis Malle, in dem Maurice Ronet zum Selbstmord entschlossen von seinen Freunden Abschied nimmt. Keiner kann ihn halten.

STANDARD: Diese Erfahrung ist im Kino aber eine völlig andere als jene im Theater oder in der Oper.

Händl: Im Theater ist man Teil des Augenblicks, man erschafft ihn mit. Es gibt diese Wechselwirkung zwischen allen im Raum. Ich bin unendlich froh über die Aufnahmen mit Maria Callas oder Dawid Oistrach, aber im Grund sind das Dokumente, und was gäbe ich darum, diese Menschen im selben Augenblick, im selben Raum erlebt zu haben. Einem Augenblick, der wahrhaftig ist.

STANDARD: Versuchen Sie diesen Augenblick auch als Filmemacher festzuhalten?

Händl: Ja, dem bin ich in jeder Einstellung auf der Spur, mithilfe vieler Takes. Und wenn es dann eintritt, bin ich erlöst. Vorher kann ich nicht aufhören. Darum drehe ich bereits auch die Proben. Mir ist schon klar, dass wir etwas herstellen. Aber es muss authentisch anmuten.

STANDARD: Authentisch im Sinne von der Wirklichkeit entsprechend?

Händl: Der Wirklichkeit des Films. Sie kann kühl sein, warm, sie riecht, schmeckt. Es gibt Filme, deren Wirklichkeit so stark ist, dass ich mich ihr nicht entziehen kann. Es gelingt mir zum Beispiel nicht, Brokeback Mountain formal zu analysieren. Mich fasziniert dieses Werk als Geschichte von Fetischisierung. Das eigene Blut, das Hemd des Geliebten – und das Bild vom Berg im Schrank.

STANDARD: Und ein Film, der wie "Kater" von einem Davor und Danach erzählt.

Händl: Wie geht man nach der Katastrophe miteinander um? Der Film steht dann fast still, das verstärkt den Eindruck der Sprachlosigkeit. Wir erleben einen Tag, der nicht vergeht. Bis zur entscheidenden Frage: "Wer bist du?"

STANDARD: Die schwule Liebe, die Sie zeigen, erweckt beinahe den Eindruck einer Symbiose.

Händl: Mann und Mann, selbstverständlich. Abgesehen von der Liebe, die die beiden leben, haben sie von vornherein auch diese Brüderlichkeit – und nach der Katastrophe kein Kräftemessen im herkömmlichen Sinn.

STANDARD: Der Film erzählt aber auch davon, wie schwer die Last der Schuld auf Schultern drückt.

Händl: Ein Herzstück ist sicher die Tröstung Stefans durch seine Freunde. Keiner wird je ein Wort darüber verlieren, aber er ist gestärkt. Jetzt kann er wieder auf Andreas zugehen. Das ist die Sehnsucht, von der ich sprach – die ich im Schreiben habe. (Michael Pekler, 6.11.2016)