Die rechten Parteien Europas haben ihr feministisches Herz entdeckt. Politiker wie Norbert Hofer oder die AfD-Vorsitzende Frauke Petry wollen Frauen vor patriarchalen Strukturen retten, vor der Unterdrückung durch Ehemänner, Väter und Brüder. Ob in Dänemark oder der Schweiz, in England oder Österreich, die rechtspopulistischen und rechtsextremen Politiker sind sich einig: Burka und Nikab müssen endlich verboten werden. Und wie stets versucht H.-C. Strache seine europäischen Mitstreiter noch zu überbieten und fordert, dass auch das Kopftuch, bei dem das Gesicht frei bleibt und nur die Haare verhüllt werden, gesetzlich geächtet wird.

Für Liberale und Linke liegt es nahe, dieses plötzliche Engagement für Frauenrechte mit dem Verweis auf Islamophobie abzutun. Aber das wäre verfehlt, denn das Geschlechterverhältnis ist für die europäischen Rechten keine Nebensache. Kaum ein anderes Thema vermag die Gemüter rechter Politiker, Publizisten und Wähler so zu erhitzen.

Doch woher kommen diese heftigen Gefühle? Es ist in Österreich so schwierig, eine Muslimin mit Gesichtsschleier zu finden, dass Puls4 für eine kürzlich ausgestrahlte Diskussionssendung zum Burkaverbot eigens eine Nikabträgerin aus der Schweiz importieren musste, die konvertierte Nora Illi, die Frau des Pressesprechers des Islamischen Zentralrats Schweiz. (Der IZS ist eine Organisation salafistischer Muslime, die für die Schweizer Muslimen genau so wenig repräsentativ ist wie eine fundamentalistische Pfingstgemeinde für die österreichischen Christen.) Selbst in Frankreich, dem europäischen Land, wo die Praxis der Verschleierung wohl am verbreitetsten ist, gibt es gerade einmal rund 2.000 muslimische Frauen, die ihr Gesicht verschleiern, und in Österreich dürfte sich die Zahl im niederen zweistelligen Bereich bewegen. Die meisten Österreicher werden statistisch gesehen wohl nie einer Burka- oder Nikabträgerin begegnen. Doch wo ein Wille ist, braucht's keine Statistik. Viele Burkagegner scheinen geradezu Burkamagneten zu sein.

Hier im STANDARD war zuletzt beispielsweise ein Kommentar von Zoë Jenny zu lesen. Die Schweizer Schriftstellerin, die seit einigen Monaten in Wien lebt, ist in der Schweiz gegenwärtig vor allem für die Kampagne gegen Schweizer Sozialbehörden (Kesb) bekannt, die sie gemeinsam mit Exponenten des rechten Flügels der rechtspopulistischen SVP betreibt. An ihrem neuen Wohnort Wien profiliert sie sich nun im selben Milieu als Burkagegnerin. Verschleierte Musliminnen scheinen Zoë Jenny auf Schritt und Tritt zu begegnen, und sie empfindet sie als Provokation. Der bloße Anblick verschleierter Frauen ist für sie geradezu körperlich spürbare Gewalt, ein "Schlag ins Gesicht". Zoe Jenny weiß genau: Diese Frauen tun das nicht freiwillig. Sie sind willenlose Opfer der patriarchalen Strukturen, die mit den Flüchtlings-"Strömen" ins freie und emanzipierte Österreich geschwemmt werden. Das Patriarchat ist für Zoe Jenny ein Feind, der von außen kommt.

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass fast alle europäischen Musliminnen, die Burka/Nikab oder auch Kopftuch tragen, dies freiwillig tun; oft sogar gegen den Willen der eigenen Familie. Aber solche Quellen nennt Jenny nicht. Sie weiß dank Einfühlungsgabe, dass die armen Frauen von ihren Vätern, Ehemännern und Brüdern gezwungen werden. Deshalb braucht es unbedingt ein Burkaverbot.

Dass in dieser Logik nicht die Täter (Männer), sondern die Opfer (Frauen) bestraft würden, scheint sie nicht zu stören. Auch ob ein Burkaverbot zur Emanzipation von Burka/Nikab-Trägerinnen beitragen würde, interessiert Zoë Jenny nicht. Sie will keine Musliminnen mehr sehen, die ihr Gesicht verhüllen, und sie schreibt auch deutlich, warum sie ihren Anblick so unerträglich findet: Eine muslimische Frau mit Gesichtsschleier "ist eine für alle Welt sichtbare und offensichtliche [sic!] Form der Unterdrückung und damit eine Provokation". Der Anblick einer Frau im Nikab ist eine Provokation, weil die Unterdrückung sichtbar ist.

Unsichtbare Fesseln

Patriarchale Strukturen gibt es in der gesamten österreichischen Gesellschaft. Sie sind nur meist nicht so offensichtlich und werden gerne verschleiert. Aber diese unsichtbaren Fesseln der Geschlechter sinnlich vorgeführt zu bekommen, ist für Zoë Jenny unerträglich. Sich mit den patriarchalen Strukturen auseinanderzusetzen, in die wir alle in unserem eigenen Leben verstrickt sind, wäre unbequem oder sogar gefährlich fürs Selbstverständnis vieler Männer und Frauen, die sich im bestehenden ungleichen Geschlechterverhältnis ganz gut eingerichtet haben. Und was man an sich selbst nicht wahrhaben will, das projiziert man gern auf andere. Patriarchal, das sind für Jenny und ihre rechtspopulistischen Mitstreiter deshalb nur die anderen, die Fremden, die Flüchtlinge, die "Strukturen importieren".

Purer Neid

Zur Aufrechterhaltung der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen tragen auch viele Frauen bei. Aber es ist kein Zufall, dass die große Mehrheit der FPÖ-Mitglieder und -Wähler Männer sind. Wie an den heftigen Emotionen abzulesen ist, mit denen sie auf dieses Thema reagieren, entstammt die psychische Energie ihrer Empörung zu einem großen Teil ihrer Angst vor einer Gesellschaft, die Frauen die gleichen Rechte und Privilegien einräumen würde wie Männern. Deshalb will die FPÖ Frauenbeauftragte und Frauenförderung ebenso abschaffen wie Gendermainstreaming und geschlechtergerechte Sprache. Sie will Abtreibung erschweren, Sexualerziehung aus den Schulen verbannen und weniger staatliche Kinderbetreuung. Das blaue Parteiprogramm liest sich wie ein Mythos der Fünfzigerjahre: Vater, zwei Kinder, Hund und Hausfrau. Diese Männer hätten ihre eigenen Frauen gerne so unter Kontrolle, wie sie sich in ihrer Fantasie vorstellen, dass die muslimischen Männer ihre Frauen beherrschen. Letztlich ist es der pure Neid, warum die Burka verboten werden soll. Aber das darf man nun wirklich nicht schreiben! (Stephan Truninger, 7.11.2016)